Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
versprochen, noch bin ich bedroht worden. Ich will endlich meine innere Ruhe erlangen. Nachdem ich mich nicht an alle Einzelheiten mehr erinnern kann und auch manches verwechsle oder durcheinanderbringe, bitte ich, mir dabei behilflich zu sein, durch Zurverfügungstellung, durch Unterlagen und Aussagen, die meinen Bemühungen, die Wahrheit zu suchen, behilflich sein zu wollen. Adolf Eichmann, Mai 1960.«
Dieses Dokument hat, obwohl es zweifellos echt ist, eine Eigentümlichkeit: im Datum fehlt der Tag, an dem es unterzeichnet wurde. Diese Lücke gibt Anlaß zu dem Verdacht, daß die Erklärung nicht in Argentinien, sondern in Jerusalem geschrieben worden ist, wo Eichmann am 22. Mai eintraf. Sie wurde weniger für den Prozeß gebraucht – in dem die Anklage sie zwar als Beweismittel vorlegte, ohne ihr jedoch weitere Bedeutung zuzulegen – als für Israels erste offizielle Note an die argentinische Regierung, der sie ordnungsgemäß beigefügt wurde. Servatius, der Eichmann vor Gericht darüber befragte, erwähnte die Eigentümlichkeit des Datums nicht, und Eichmann konnte nicht gut von selbst darauf zu sprechen kommen; von seinem Anwalt durch Fragen geführt, bestätigte er, wenn auch zurückhaltend, die Erklärung unter Zwang, ans Bett gefesselt, gefangengehalten in einer argentinischen Vorstadt, niedergeschrieben zu haben. (Der Staatsanwalt, der es wohl besser wußte, nahm ihn zu diesem Punkt nicht ins Kreuzverhör; je weniger über die Sache geredet wurde, desto besser.) Frau Eichmann hatte der argentinischen Polizei das Verschwinden ihres Mannes gemeldet, ohne jedoch seine Identität zu enthüllen, so daß Bahnhöfe, Autostraßen und Flughäfen nicht kontrolliert wurden. Die Israelis hatten Glück, sie wären niemals imstande gewesen, Eichmann zehn Tage nach seiner Gefangennahme aus dem Lande zu schmuggeln, wenn die Polizei ordnungsgemäß alarmiert worden wäre.
Eichmann gab zwei Gründe an für seine erstaunliche Bereitwilligkeit, in Jerusalem alles, was er wußte, »von sich zu geben«. (Selbst die Richter, die sich in der Urteilsfindung immer mehr darauf versteiften, in Eichmann einen einfachen Lügner zu sehen, mußten zugeben, daß sie nicht verstünden, warum der Angeklagte vordem Hauptmann Less »ihn inkriminierende Sachen zugegeben hat, die prima facie, abgesehen von seinem Geständnis, unnachweisbar gewesen wären, insbesondere in bezug auf seine Reisen nach dem Osten«.) Seit Jahren hatte es ihn verdrossen, in der Verborgenheit zu leben, und je mehr er über sich selber zu lesen bekam, um so ärgerlicher muß es ihm gewesen sein, nicht selbst in Erscheinung zu treten. Seine zweite, in Israel abgegebene Erklärung war dramatischer:
»Vor etwa 1½ Jahren erfuhr ich durch einen Bekannten, der von einer Deutschlandreise zurückkam, daß in gewissen Teilen der deutschen Jugend ein gewisser Schulddruck sich bemerkbar mache, … jedenfalls diese Tatsache war für mich genauso ein Markstein, möchte ich mal sagen, als wie das Zurkenntnisnehmen der Landung der ersten menschlichen Rakete auf dem Mond. Das gehörte also mit zu einem wesentlichen Punkt meines Innenlebens, worum sich viele Gedanken kreisartig sammelten und konzentrierten. Aus diesen, aus dieser Erkenntnis heraus auch, habe ich es abgelehnt, mich durch Flucht oder ä. zu entziehen, als ich feststellen mußte, daß ich gewissermaßen durch die Späher oder Sucher oder durch das Suchkommando eingekreist worden bin … ich habe das abgelehnt, weil ich mir sagte, daß ich jetzt nicht mehr verschwinden darf, und zwar insonderheit, nachdem mich Gespräche über diesen Schulddruck der deutschen Jugend sehr beeindruckten. Dies ist auch mit der Grund, daß ich ziemlich bald im Anfang meines Hierseins eine schriftliche Erklärung fixierte, in denen [sic!] ich feststellte, daß ich, wenn es einen Akt der größten Sühne bezeigen würde, bereit bin, mich öffentlich selbst aufzuhängen …. dieses Wollen ist ein ernstes Wollen meinerseits, denn so tue auch ich einiges, um diesen Schulddruck der deutschen Jugend wegzunehmen, die ja an sich nichts dafür kann, für das Geschehen oder für die Taten ihrer Väter während des letzten Krieges«,
den er übrigens in einem anderen Zusammenhang immer noch den »dem Deutschen Reich aufgezwungenen Krieg« nannte. Natürlich war das alles leeres Gerede. Was hat ihn denn gehindert, nach Deutschland zu gehen und sich zu stellen? Diese Frage wurde an ihn gerichtet, und er erwiderte, seiner Meinung nach besäßen
Weitere Kostenlose Bücher