Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
Angelegenheiten betraf: »er hätte überdies alle seine Vorgesetzten einschließlich Müller an Bedeutung in den Schatten gestellt«. Als Antwort auf den naheliegenden Einwand der Verteidigung, daß die Juden nicht besser daran gewesen wären, falls Eichmann nie existiert hätte, stellten die Richter jetzt fest, daß »die Idee der ›Endlösung‹ nicht solch infernalische Formen angenommen hätte, Formen der geschundenen Haut und des gepeinigten Fleisches von Millionen Juden, wäre nicht der fanatische Eifer und der unstillbare Blutdurst des Berufungsklägers und seiner Komplicen gewesen«. Israels Oberstes Gericht hatte nicht nur die Argumente des Anklägers, er hatte auch seine Ausdrucksweise übernommen.
Am gleichen Tag, am 29. Mai, ging dem Präsidenten Israels, Itzhak Ben-Zvi, Eichmanns Gnadengesuch – vier handgeschriebene Seiten, ausgefertigt »nach Instruktion durch meinen Anwalt« – zusammen mit Briefen von seiner Frau und der Familie in Linz zu. Der Präsident erhielt außerdem Hunderte von Briefen und Telegrammen aus aller Welt mit Gnadenersuchen. An hervorragender Stelle unter den Absendern standen die Central Conference of American Rabbis, die repräsentative Körperschaft des Reformjudentums in den Vereinigten Staaten, und eine Gruppe von Professoren der hebräischen Universität in Jerusalem mit Martin Buber an der Spitze, der von Anfang an gegen den Prozeß gewesen war und nun Ben Gurion zu bewegen suchte, sich für eine Begnadigung einzusetzen. Präsident Ben-Zvi lehnte alle Gnadenersuchen am 31. Mai ab, und wenige Stunden später am selben Tag – es war ein Donnerstag – wurde Eichmann kurz vor Mitternacht gehängt, sein Körper verbrannt und die Asche außerhalb des israelischen Hoheitsgebiets übers Mittelmeer verstreut.
Die Eile, mit der das Todesurteil vollstreckt wurde, war ungewöhnlich, selbst wenn man in Betracht zieht, daß die Nacht des Donnerstag der letzte mögliche Termin vor dem folgenden Montag war, denn Freitag, Sonnabend und Sonntag sind religiöse Feiertage für die eine oder andere der drei Glaubensgemeinschaften des Landes. Weniger als zwei Stunden nachdem Eichmann über die Ablehnung des Gnadengesuchs unterrichtet worden war, fand die Hinrichtung statt; die Zeit reichte nicht einmal für die Henkersmahlzeit. Die Erklärung mag in zwei Versuchen von Dr. Servatius liegen, seinen Klienten in letzter Minute zu retten – einem Antrag an ein westdeutsches Gericht, die Regierung zur Beantragung von Eichmanns Aus lieferung doch noch zu zwingen, sowie einer Drohung, den Artikel 25 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte anzurufen. (Das letztere wäre wohl vergeblich gewesen, aber die Möglichkeit, die deutsche Bundesrepublik zu zwingen, den Auslieferungsantrag zu stellen, bestand durchaus. Es gibt merkwürdigerweise ein deutsches, offenbar einzig dastehendes Gesetz, demzufolge deutsche Staatsangehörige das Recht auf diplomatischen Schutz anderen Staaten gegenüber haben und dieses Recht in deutschen Gerichten geltend machen können, indem sie das Auswärtige Amt verklagen. [Siehe Hans W. Baade, »Some Legal Aspects of the Eichmann Trial«, in: »Duke Law Journal«.] Die Frage wäre nur wieder gewesen, ob Eichmann auf die deutsche Staatsangehörigkeit verzichtet hatte, als er einen falschen Namen annahm und mit einem Reisepapier, auf dem er als staatenlos bezeichnet war, in Argentinien ankam.) Weder Dr. Servatius noch sein Assistent waren in Israel, als Eichmanns Gesuch abgelehnt wurde, vermutlich wollte die israelische Regierung den Fall, der sich schon zwei Jahre lang hingezogen hatte, abschließen, ehe die Verteidigung überhaupt um Aufschub der Hinrichtung einkommen konnte.
Mit dem Todesurteil hatte man gerechnet, und es ist in der Öffentlichkeit kaum kritisiert worden. Völlig anders lagen die Dinge, als bekannt wurde, daß die Israelis das Urteil vollstreckt hatten. Die Proteste waren zwar kurzlebig, aber sie kamen von allen Seiten, vor allem auch von bekannten, einflußreichen Persönlichkeiten. Das gebräuchlichste Argument war, daß Eichmanns Taten die Grenzen möglicher Bestrafung durch Menschen überschritten, daß es absurd sei, die Todesstrafe für Verbrechen solchen Ausmaßes zu verhängen – was natürlich in gewissem Sinn stimmt, ja aber keinesfalls heißen konnte, daß einer, der Millionen ermordet hat, aus ebendiesem Grund nicht bestraft werden dürfe. Auf einer wesentlich niedrigeren Ebene kritisierte man die Todesstrafe als »phantasielos« und
Weitere Kostenlose Bücher