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Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Titel: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Arendt
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offerierte denn auch gleich überaus phantasievolle Alternativen – Eichmann »hätte den Rest seines Lebens Zwangsarbeit in der Wüste Negev leisten sollen, um mit seinem Schweiß an der Fruchtbarmachung des jüdischen Heimatbodens mitzuwirken«, eine Strafe, die er vermutlich keinen Tag überlebt hätte, ganz abgesehen davon, daß man in Israel dies Gebiet nicht gerade als Strafkolonie ansieht; oder es hieß im Reklamestil, Israel hätte sich zu »erhabenen Höhen« aufschwingen und sich über alle »verständlichen rechtlichen, politischen und sogar menschlichen Erwägungen« hinwegsetzen können, wenn die Regierung eine Veranstaltung »aller an der Gefangennahme, am Prozeß und am Urteil Beteiligten« organisiert hätte, sie um Eichmann in Fesseln geschart und »in Gegenwart von Fernsehkameras und Mikrophonen als Helden des Jahrhunderts mit Orden versehen« hätte. Da sah man erst, was einem alles erspart geblieben war.
    Martin Buber nannte die Hinrichtung einen »Fehler geschichtlichen Ausmaßes«, da sie »dazu führen [könne], daß viele junge Menschen in Deutschland, die sich schuldig fühlen, ihre Schuld nun als gesühnt betrachten« – ein Argument, das auf merkwürdige Weise Eichmanns eigene Gedanken über die Sache widerspiegelt, obgleich Buber wohl kaum gewußt hat, daß dieser sich öffentlich aufhängen wollte, um die Last der Schuld von Deutschlands Jugend zu nehmen. (Es ist seltsam, daß Buber, der nicht nur ein bedeutender, sondern vor allem auch ein äußerst kluger Mann ist, nicht sieht, daß diese zur Schau getragenen und reichlich publizierten Schuldgefühle gar nicht echt sein können. Sich schuldig zu fühlen , wenn man absolut nichts getan hat, und es in die Welt zu proklamieren, ist weiter kein Kunststück, erzeugt allenthalben »erhebende Gefühle« und wird gern gesehen. Es gibt sehr wenige Menschen, die imstande sind, wirklich begangenes Unrecht einzusehen – von Reue oder Scham ganz zu schweigen. Das ist nicht so einfach. Von allen Seiten und in allen Bereichen ist die deutsche Jugend heute mit Männern konfrontiert, die in Amt und Würden, in maßgeblichen Positionen und öffentlichen Stellungen das Gesicht des Landes bestimmen und in der Tat sich einiges haben zuschulden kommen lassen, ohne sich offenbar schuldig zu fühlen . Die normale Reaktion einer Jugend, der es mit der Schuld der Vergangenheit ernst ist, wäre Empörung. Und Empörung wäre zweifellos mit gewissen Risiken verbunden – nicht gerade eine Gefahr für Leib und Leben, doch entschieden ein Handicap für die Karriere. Das ist alles sehr verständlich; aber wenn diese Jugend von Zeit zu Zeit – bei Gelegenheit des Anne-Frank-Rummels oder anläßlich des Eichmann-Prozesses – in eine Hysterie von Schuldgefühlen ausbricht, so nicht, weil sie unter der Last der Vergangenheit, der Schuld der Väter, zusammenbricht, sondern weil sie sich dem Druck sehr gegenwärtiger und wirklicher Probleme durch Flucht in Gefühle, also durch Sentimentalität entzieht.) Professor Buber sagte weiter, daß er nicht aus Mitleid mit Eichmann gegen die Hinrichtung protestiere, denn Mitleid empfinden könne er »nur für diejenigen, deren Handlungen ich in meinem Herzen verstehe«, und er hob hervor, was er viele Jahre früher in Deutschland gesagt hat – daß er nur formal das Menschsein mit denen gemeinsam hätte, die an den Verbrechen des Dritten Reichs beteiligt waren. Den Luxus einer solchen Haltung konnten sich natürlich diejenigen, die Eichmann den Prozeß machten, nicht leisten, da das Gesetz, das Menschen zu Richtern über die Taten ihrer Mitmenschen einsetzt, voraussetzt, daß der Angeklagte von seinesgleichen zur Rechenschaft gezogen wird. Soviel ich weiß, war Buber der einzige Philosoph, der zum Thema der Hinrichtung Eichmanns öffentlich Stellung genommen hat (kurz bevor der Prozeß begann, hatte Karl Jaspers in Basel ein später von der Zeitschrift »Der Monat« abgedrucktes Rundfunkinterview gegeben, in dem er sich für ein internationales Tribunal einsetzte); es war um so enttäuschender, daß er, gleich all den anderen, nur auf einem anderen Niveau, die eigentliche Problematik des Falles Eichmann einfach ignorierte.
    Sehr wenige Stimmen erhoben sich aus dem Kreise der prinzipiellen und bedingungslosen Gegner der Todesstrafe; ihre Argumente wären gültig geblieben, denn sie hätten für diesen besonderen Fall nicht spezifiziert werden müssen. Sie scheinen zu Recht gemeint zu haben, daß dies keine sehr günstige

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