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Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Titel: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Arendt
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Bereitschaft zur Soldatenlaufbahn zu überlegen. Nach seiner eigenen Darstellung zeichnete er sich in diesen vierzehn Monaten einzig und allein im Strafexerzieren aus, das er mit großer Hartnäckigkeit betrieb, ganz im Sinne des »Geschieht meinem Vater ganz recht, wenn ich mir die Hände erfriere, warum kauft er mir keine Handschuhe«. Doch abgesehen von solch zweifelhaften Vergnügen, denen er seine erste Beförderung verdankte, fühlte er sich kreuzunglücklich: »… mir war das Einerlei des Dienstes, das war etwas, was mir widerstrebte, jeden Tag immer wieder dasselbe, immer wieder dasselbe.« In diesem Abgrund von Langeweile erfuhr er, daß es im Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (Himmlers SD) offene Stellen gab, und bewarb sich sofort.

III Fachmann in der Judenfrage
    Im Jahre 1934, als sich Eichmann erfolgreich um eine Stelle bewarb, war der SD noch eine relativ neue Abteilung der SS, die Himmler zwei Jahre zuvor als Nachrichtendienst der Partei gegründet und der Leitung von Reinhardt Heydrich unterstellt hatte – einem ehemaligen Offizier in der Spionageabwehr der Kriegsmarine, der später, nach den Worten Gerald Reitlingers, zum »eigentlichen Dirigenten der ›Endlösung‹« wurde (»Die Endlösung«, 1961). Ursprünglich hatte der Sicherheitsdienst Parteimitglieder zu überwachen und sollte auf diese Weise der SS eine beherrschende Stellung in dem regulären Parteiapparat sichern. Mittlerweile waren einige zusätzliche Aufgaben hinzugekommen, vor allem diente der SD der Geheimen Staatspolizei als Nachrichten- und Forschungsabteilung. Damit waren die ersten Schritte getan, die zu einer Verschmelzung von SS und Polizei führen sollten, die jedoch erst im September 1939 vollzogen wurde, obwohl Himmler die Doppelstellung von Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei schon seit 1936 innehatte. Von diesen künftigen Entwicklungen konnte Eichmann damals natürlich nichts wissen, aber auch von dem damaligen Charakter des SD behauptete er, bei seinem Eintritt keine Ahnung gehabt zu haben, was gut möglich ist; schließlich waren die Aufgaben des SD von jeher streng geheim gewesen. Was ihn anlangte, so beruhte alles einfach auf einem Mißverständnis: es war »die damalige große Enttäuschung … Denn ich stellte mir darunter vor, das was ich auch in der ›Münchner Illustrierten‹ gesehen habe, wenn hier die hohen Parteiführer fuhren, da waren Kommandos dahinter, da stand man auf Trittbrettern, da war dabei ein Begleitkommando, also ich verwechselte das Ganze [d. i. Sicherheitsdienst der SS] mit dem Reichssicherheitsdienst …, da hat mich niemand aufgeklärt, und das hat mir auch niemand gesagt. Denn unter dem, was sich jetzt nun mir darbot, da hatte ich mir bis dahin überhaupt keine Vorstellung von gemacht.« Die Frage, ob er log oder die Wahrheit sagte, spielte eine gewisse Rolle im Prozeß, weil entschieden werden mußte, ob er sich freiwillig um die Stellung beworben hatte oder eingezogen worden war. Angenommen, seine Bewerbung sei tatsächlich ein Mißverständnis gewesen – unerklärlich wäre es nicht; die SS-Einheiten waren ja ursprünglich zum besonderen Schutz der Parteiführer, eben als »Schutz-Staffeln«, geschaffen worden.
    Mißverständnis oder nicht, seine Enttäuschung beruhte lediglich darauf, daß er nun noch einmal ganz von vorn anfangen mußte, daß er wieder ganz unten gelandet war, und der einzige Trost war, daß andere Leute den gleichen Fehler gemacht hatten. Man steckte ihn in die Abteilung »Gegnererforschung und -bekämpfung«, und seine erste Aufgabe bestand darin, alle Auskünfte über die Freimaurerei (die in dem ideologischen Durcheinander der frühen Nazizeit mit Judentum, Katholizismus und Kommunismus in einen Topf geworfen wurde) zu katalogisieren und bei der Errichtung eines Freimaurermuseums zur Hand zu gehen. Jetzt bekam er reichlich Gelegenheit zu lernen, was Kaltenbrunner damals mit seiner seltsamen Warnung vor der Schlaraffia gemeint hatte. (Übrigens war die Sucht, an die Existenz ihrer Gegner durch spezielle Museen zu erinnern, sehr typisch für die Nazis. Während des Krieges stritten sich mehrere Dienststellen erbittert um die Ehre, antijüdische Museen und Bibliotheken zu errichten. Dieser eigenartigen Manie verdanken wir die Rettung eines großen Teils des jüdischen Kulturguts in Europa.) Das Ärgerliche war, daß alles wieder sehr, sehr langweilig war, und er fühlte sich höchst erleichtert, als er nach 5 Monaten Freimaurerei in die nagelneue

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