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Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Titel: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Arendt
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Konzentrationslager gebracht werden, um Juden wie Nichtjuden von dem Legalitätswahn zu heilen. Denn – und das wird heute oft vergessen oder übersehen – die berüchtigten Nürnberger Gesetze vom Herbst 1935 hatten gerade das nicht geschafft, sondern eher das Gegenteil bewirkt.
    In Jerusalem gaben die Zeugenaussagen von drei prominenten ehemaligen Vertretern der zionistischen Organisation, die Deutschland kurz vor Kriegsausbruch verlassen hatten, nicht mehr als einen flüchtigen Einblick in die tatsächliche Situation während der ersten fünf Jahre des Naziregimes. Die Nürnberger Gesetze hatten die Juden ihrer politischen, aber nicht ihrer bürgerlichen Rechte beraubt; sie waren nicht mehr Reichsbürger, doch sie blieben deutsche Staatsangehörige. Selbst wenn sie auswanderten, wurden sie nicht automatisch staatenlos. Geschlechtsverkehr zwischen Juden und Deutschen und Mischehen neu zu schließen war strafbar: auch durfte keine deutsche Frau unter 45 in einem jüdischen Haushalt beschäftigt werden. Praktische Bedeutung besaß nur die letzte dieser Vorschriften; die anderen legalisierten nur eine Situation, die de facto längst existierte. Daher entstand der Eindruck, daß die Nürnberger Gesetze die neue Situation der Juden in Deutschen Reich stabilisierten. Sie waren seit dem 30. Januar 1933, gelinde gesagt, Bürger zweiter Klasse; ihre fast vollkommene Isolierung von der übrigen Bevölkerung war eine Angelegenheit von Wochen, noch nicht einmal von Monaten gewesen – eine Folge des Terrors, aber auch der außergewöhnlichen Bereitschaft ihrer Mitbürger, sie im Stich zu lassen. »Es gab eine Wand zwischen Nichtjuden und Juden«, sagte der Zeuge Dr. Benno Cohn aus Berlin. »Ich kann mich nicht erinnern, daß ich während all meiner Reisen durch Deutschland mit einem Christen gesprochen hätte.« Die Juden glaubten, nun hätten sie eigene Gesetze erhalten und seien nicht länger vogelfrei. Wenn sie für sich blieben, wozu sie ohnehin gezwungen waren, dann würden sie unbelästigt leben können. Die »Reichsvertretung der Juden in Deutschland« (eine Dachorganisation aller Gemeinden und Organisationen, die im September 1933 auf Initiative der Berliner Gemeinde gegründet und keineswegs von den Nazis ernannt worden war) vertrat die Meinung, die Nürnberger Gesetze beabsichtigten, »eine Ebene zu schaffen, auf der ein erträgliches Verhältnis zwischen dem deutschen und dem jüdischen Volk möglich ist«, und ein Mitglied der Berliner Gemeinde, ein radikaler Zionist, fügte hinzu: »Man kann unter jedem Gesetz leben. Nicht leben kann man aber in völliger Unkenntnis dessen, was erlaubt ist und was nicht. Auch als Mitglied einer Minderheit innerhalb eines großen Volkes kann man ein nützlicher und geachteter Bürger sein« (Hans Lamm, »Über die Entwicklung des deutschen Judentums«, 1951). Da Hitler 1934 anläßlich der Röhm-Affäre die Macht der SA gebrochen hatte, die fast allein für die frühen Pogrome und Grausamkeiten verantwortlich gewesen war, und die Juden von dem Machtzuwachs der SS, die sich für gewöhnlich der von Eichmann so verachteten » Stürmermethoden« enthielt, kaum etwas wußten, glaubten sie allgemein, ein Modus vivendi werde möglich sein; jedenfalls boten sie an, an der »Lösung der Judenfrage« mitzuarbeiten. Als Eichmann seine Lehrzeit in »Judenangelegenheiten« antrat, für die er nach vier Jahren der anerkannte »Fachmann« war, und seine ersten Kontakte mit jüdischen Funktionären aufnahm, redeten sowohl Zionisten wie Assimilanten von »jüdischer Wiedergeburt«, von einer »großen Aufbaubewegung des deutschen Judentums«, wobei sie das Für und Wider jüdischer Auswanderung erbittert diskutierten, als sei dies noch eine innerjüdische Frage, deren Entscheidung von ihnen abhing.
    Der trotz vieler Entstellungen nicht absolut unwahre Bericht, den Eichmann während der Polizeivernehmung über seine Lehrlingszeit in der neuen Abteilung gab, ruft auf seltsame Weise diese »idyllischen Zeiten« ins Gedächtnis. Chef des Judenreferats und Eichmanns Vorgesetzter war ein gewisser Leopold von Mildenstein, der sich kurz darauf in Albert Speers Organisation Todt versetzen ließ, wo er für den Bau von Landstraßen zu sorgen hatte; im Gegensatz zu Eichmann war er wirklich Ingenieur. Seinem neuen Untergebenen empfahl er als erstes, Theodor Herzls »Judenstaat« zu lesen, das klassische Werk des Zionismus, was Eichmann auch prompt besorgte; es scheint, dies war das erste ernsthafte Buch,

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