Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Titel: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Arendt
Vom Netzwerk:
Zeit aus Deutschland weggingen; in weniger als 18 Monaten war Österreich von annähernd 150 000 Menschen – etwa 60 Prozent der jüdischen Bevölkerung, wenn man die in Österreich recht zahlreichen getauften Juden mit einschließt – »gereinigt«, und sie alle hatten das Land »legal« verlassen; noch nach Kriegsausbruch konnten einige 60 000 entkommen.
    Wie hat Eichmann das geschafft? Das Grundkonzept: die jüdische Auswanderung mit Hilfe der bestehenden lokalen und internationalen jüdischen Organisationen, die sowohl das Geld aufzubringen als auch den bürokratischen Apparat zu stellen hatten, staatlich zu organisieren, stammte natürlich nicht von ihm, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach von Heydrich, der ihn ja nach Wien geschickt hatte. Eichmann ließ sich auf die geistige Urheberschaft dieser »Idee« nicht festlegen, versuchte aber, sie wenigstens indirekt für sich in Anspruch zu nehmen. Seiner ohnehin beträchtlichen Neigung, sich mit fremden Federn zu schmücken, kamen die israelischen Behörden zu Hilfe, da sie von der phantastischen »Hypothese einer allumfassenden Verantwortung Adolf Eichmanns« ausgingen und dazu die noch phantastischere Vermutung hegten, »daß ein Gehirn [ausgerechnet das seine] hinter all dem steckte« (so in dem halboffiziellen Bulletin des israelischen Archivs Yad Waschem). Jedenfalls hat Heydrich unmittelbar nach der »Kristallnacht« in einer Besprechung mit Göring klipp und klar auseinandergesetzt, wie man zu den erstaunlichen Wiener Erfolgen gekommen war: »Wir haben das in der Form gemacht, daß wir den reichen Juden, die auswandern wollten, bei der jüdischen Kulturgemeinde eine gewisse Summe abgefordert haben. Mit dieser Summe und Devisenzuzahlungen konnte dann eine Anzahl der armen Juden herausgebracht werden. Das Problem war ja nicht, die reichen Juden herauszukriegen, sondern den jüdischen Mob.« Und dieses »Problem« hat nicht Eichmann gelöst, sondern – wie man erst nach dem Prozeß von dem Niederländischen Staatlichen Institut für Kriegsdokumentation erfuhr – Erich Rajakowitsch, ein »glänzender Jurist« und Erfinder des »Auswanderungsfonds«, den Eichmann seinem eigenen Zeugnis nach »zur Bearbeitung juristischer Fragen bei den Zentralstellen für jüdische Auswanderung in Wien, Prag und Berlin verwendet« hat und der später, im April 1941, von Heydrich nach Holland geschickt wurde, um dort »eine Zentralstelle zu errichten, die als Vorbild für die ›Lösung der Judenfrage‹ in allen besetzten europäischen Ländern gelten« sollte.
    Immerhin blieben genügend Probleme übrig, die nur im Verlauf der Operation selbst gelöst werden konnten, und es besteht kein Zweifel, daß Eichmann hier zum erstenmal in seinem Leben gewisse besondere Fähigkeiten entwickelte. Zwei Dinge konnte er besser als andre: er konnte organisieren, und er konnte verhandeln. Sofort nach seiner Ankunft nahm er Verhandlungen mit den Vertretern der jüdischen Gemeinde auf, die er zunächst aus Gefängnissen und Konzentrationslagern herausholen mußte, da der »revolutionäre Eifer«, der in Österreich die anfänglichen »Ausschreitungen« in Deutschland bei weitem übertraf, zur Verhaftung praktisch aller prominenten Juden geführt hatte. Nach diesem Erlebnis erkannten die jüdischen Beamten auch ohne Eichmanns Nachhilfe die Vorteile der Emigration, und sie unterrichteten ihn vor allem über die enormen Schwierigkeiten, die einer Massenauswanderung im Wege standen. Abgesehen von finanziellen Problemen, die ja bereits »gelöst« waren, bestand die Hauptschwierigkeit in der Unzahl von Papieren, die jeder Emigrant zusammenbekommen mußte, ehe er das Land verlassen konnte. Jedes dieser Papiere war nur für begrenzte Zeit gültig, so daß die Gültigkeit des ersten meistens abgelaufen war, ehe er in den Besitz des letzten gelangen konnte. Eichmann ließ sich alles erklären, bis er begriffen hatte, wie die ganze Angelegenheit funktionierte oder vielmehr weshalb sie nicht funktionierte: »Ich ging mit mir zu Rate, und noch am selben Nachmittag hatte ich die Idee geboren, von der ich glaubte, daß es wiederum beiden Stellen recht wäre. Und zwar stellte ich mir ein laufendes Band vor, vorne kommt das erste Dokument drauf und die anderen Papiere, und rückwärts müßte dann der Reisepaß abfallen.« Das ließ sich verwirklichen, wenn alle in Frage kommenden Beamten und Funktionäre – das Finanzministerium, die Leute von der Einkommensteuer, die Polizei, die jüdische Gemeinde

Weitere Kostenlose Bücher