Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
europäischen Juden nach Madagaskar zu verfrachten. Das Getto in Theresienstadt, für das Eichmann die »Vaterschaft« in Anspruch nahm, wurde errichtet, nachdem bereits Jahre zuvor in den östlichen Besatzungsgebieten das Gettosystem eingeführt worden war; und Spezialgettos für gewisse privilegierte Kategorien von Juden einzurichten war, wie das Gettosystem selbst, die »Idee« Heydrichs. Der Madagaskar-Plan hingegen scheint in den Büros des deutschen Auswärtigen Amts »geboren« worden zu sein, und Eichmanns eigener Beitrag dazu war, wie sich zeigen sollte, den Gedankengängen seines hochgeschätzten Dr. Löwenherz sehr verpflichtet. Diesen hatte er nämlich dazu angehalten, »einige Grundgedanken zu einem … Plane zu verankern«, wie man nach dem Kriege rund vier Millionen Juden aus Europa herausschaffen könnte, und zwar angeblich nach Palästina; das Madagaskar-Projekt war ja streng geheim. (Als ihm während des Verhörs der Bericht von Dr. Löwenherz vorgelegt wurde, leugnete er die eigentliche Herkunft des Planes nicht – dies war einer der seltenen Augenblicke, in denen er echte Verlegenheit zeigte.) Seine Großmannssucht führte letztlich zu seiner Gefangennahme – er war es »satt, ein anonymer Wanderer zwischen den Welten zu sein« –, und diese Sucht muß mit der Zeit immer stärker geworden sein, nicht nur weil es für ihn nichts mehr zu tun gab, was in seinen Augen sich lohnte, sondern auch deshalb, weil die Nachkriegsepoche ihm so viel unerwarteten »Ruhm« beschert hatte.
Doch Angeberei ist eine weitverbreitete Untugend; spezifischer und auch entscheidender war ein anderer Fehler Eichmanns – seine nahezu totale Unfähigkeit, jemals eine Sache vom Gesichtspunkt des anderen her zu sehen. Er und seine Leute und die Juden »zogen an einem Strang«; wenn Schwierigkeiten auftauchten, kamen die jüdischen Funktionäre zu ihm gerannt, und »… ich habe die Klagen und die ewigen Bitten um Unterstützung seitens der jüdischen Funktionäre gehört … und war bemüht … zu helfen.« Die Juden waren »bestrebt« auszuwandern, und er, Eichmann, versprach ihnen seine »freudige Mitarbeit«, zumal die Naziführung gerade damals den Wunsch äußerte, ihr Reich »judenrein« zu machen. Zwei Bestrebungen trafen sich also – und er, Eichmann, verstand es, »beiden Teilen gerecht« zu werden. Als im Prozeß die Methoden der Wiener Auswanderungszentrale zur Sprache kamen, rückte Eichmann nicht einen Millimeter von dieser Version der Vorgänge ab – er räumte allenfalls ein, daß das Wort »Zusammenarbeit« nicht mehr ganz am Platze sei, das würde die Menschen heute vielleicht heruntersetzen«, und er wollte ihnen ja auch »in keinster Weise zu nahe treten«. (Superlative für Worte, die sinngemäß keinen haben können, waren Eichmanns Spezialität.)
Für einen Psychologen könnte der deutsche Text des auf Band aufgenommenen Polizeiverhörs, das vom 29. Mai 1960 bis zum 17. Januar 1961 dauerte, Seite für Seite von Eichmann korrigiert und signiert, eine wahre Fundgrube von Einsichten bilden. In Eichmanns Mund wirkt das Grauenhafte oft nicht einmal mehr makaber, sondern ausgesprochen komisch. Komisch ist auch Eichmanns heldenhafter Kampf mit der deutschen Sprache, in dem er regelmäßig unterlag – so, wenn er immer wieder von »geflügelten Worten« sprach, aber Redensarten oder Schlagworte wie zum Beispiel Himmlers Neujahrsparolen meinte, oder wenn er im deutsch geführten Kreuzverhör dem Vorsitzenden erklärte, er habe »kontra gegeben«, als Sassen ihn drängte, seine Geschichte ein bißchen aufzufrisieren. Richter Landau, offensichtlich unvertraut mit den Mysterien des Kartenspiels, verstand den Ausdruck nicht, aber Eichmann fiel beim besten Willen kein anderes Wort ein. Komisch sind auch die endlosen Sätze, die niemand verstehen kann, weil sie ohne alle Syntax Redensart auf Redensart häufen. Als Landau ihm sagt, daß es so nicht weiterginge, spürte er wohl dunkel einen Defekt, der ihm schon in der Schule zu schaffen gemacht haben muß – wie ein milder Fall von Aphasie –, und entschuldigt sich: »Amtssprache ist meine einzige Sprache.« Doch die Amtssprache war eben gerade deshalb seine Sprache geworden, weil er von Haus aus unfähig war, einen einzigen Satz zu sagen, der kein Klischee war. (Waren es die Klischees, die die Psychiater so »normal« und »vorbildlich« fanden? Sind dies die »positiven Ideen«, die ein Pfarrer bei denen zu finden hofft, über deren Seelen erwacht? Eichmanns
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