Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
etc. – unter demselben Dach untergebracht würden und gezwungen wären, ihre Arbeit an Ort und Stelle in Gegenwart des Antragstellers zu erledigen. Der brauchte dann nicht mehr von Büro zu Büro zu rennen, und ein Teil der demütigenden Schikanen und Bestechungsgelder würde ihm wahrscheinlich auch erspart. Als alles bereit war und das laufende Band auf vollen Touren lief, beeilte sich Eichmann, die jüdischen Funktionäre aus Berlin zur Besichtigung »einzuladen«. Sie waren entgeistert: »… es ist wie ein automatisch laufender Betrieb, wie eine Mühle, in der Getreide zu Mehl zermahlen wird und die mit einer Bäckerei gekoppelt ist. Auf der einen Seite kommt der Jude herein, der noch etwas besitzt, einen Laden oder eine Fabrik oder ein Bankkonto. Nun geht er durch das ganze Gebäude, von Schalter zu Schalter, von Büro zu Büro, und wenn er auf der anderen Seite herauskommt, ist er aller Rechte beraubt, besitzt keinen Pfennig, dafür aber einen Paß, auf dem steht: ›Sie haben binnen 14 Tagen das Land zu verlassen, sonst kommen Sie ins Konzentrationslager.‹«
So sah natürlich die Wahrheit über diese Prozedur im wesentlichen aus, doch war es nicht die ganze Wahrheit. Man konnte nämlich diese Juden gar nicht allen Geldes berauben, weil kaum ein Land sie zu jenem Zeitpunkt ohne Geld aufgenommen hätte. Sie brauchten und bekamen ihr »Vorzeigegeld«, die Summe, die sie vorzeigen mußten, um ihre Visen zu erhalten und um die Einwanderungskontrollen der Aufnahmeländer zu passieren. Für diese Summe brauchten sie ausländische Währung, und das Reich hatte nicht die geringste Neigung, Devisen an Juden zu verschwenden. Diesem Mangel konnte nicht mit jüdischen Guthaben im Ausland abgeholfen werden, an die man in jedem Falle nur schwer herankam, da sie seit vielen Jahren illegal waren; so schickte Eichmann jüdische Funktionäre ins Ausland, um Fonds bei den großen jüdischen Organisationen zusammenzubringen, und diese Fonds wurden dann von der jüdischen Gemeinde mit beträchtlichem Profit an die künftigen Emigranten verkauft – 1 Dollar wurde zum Beispiel für 10 oder 20 Mark verkauft, während sein Marktwert nur 4,20 Mark betrug. Diese Methode verschaffte auch der Gemeinde das Geld, das für die armen Juden und für die Leute ohne ausländische Konten erforderlich war, und bestritt obendrein die laufenden Ausgaben, die die Gemeinde für ihren eigenen enorm erweiterten Betrieb brauchte. Eichmann konnte dieses Arrangement nicht in Gang bringen ohne beträchtliche Opposition von seiten der deutschen Finanzbehörden, des Finanzministeriums und der Reichsbank, denn es war ja klar, daß diese Transaktionen auf eine Abwertung der Mark hinausliefen.
Wichtigtuerei war das Laster, das Eichmann zugrunde richtete. Es war reine Angeberei, wenn er seinen Leuten in den letzten Kriegstagen erzählte: »Ich werde freudig in die Grube springen, denn das Bewußtsein, fünf Millionen Juden [er selbst behauptete stets, »Reichsfeinde« gesagt zu haben] auf dem Gewissen zu haben, verleiht mir ein Gefühl großer Zufriedenheit.« Nun, er ist nicht gesprungen, und was sein Gewissen anlangte, so stellte sich heraus, daß nicht Mord, sondern eine Ohrfeige es bedrückte, die er »in der Unbeherrschtheit eines plötzlichen Zornes« Dr. Löwenherz, dem Präsidenten der Wiener Judengemeinde, »verabreicht« hatte. (Eichmann hatte sich seinerzeit vor seinen Untergebenen bei Löwenherz entschuldigt, aber trotzdem ließ ihm diese »kleine Begebenheit« keine Ruhe.) Den Tod von fünf Millionen Juden auf das eigene Konto zu buchen – so hoch berechnet man etwa die Gesamtsumme der Verluste, die das europäische Judentum durch die vereinten Bemühungen aller Nazibehörden und Einheiten erlitten hat – war natürlich absurd, was er auch selbst recht gut wußte; dennoch wiederholte er den für ihn verhängnisvollen Satz ad nauseam vor jedermann, der zuzuhören bereit war, sogar noch zwölf Jahre später in Argentinien, denn es verlieh ihm ein »außerordentlich erhebendes Gefühl, sich vorzustellen, daß [er] auf diese Weise von der Bühne abtreten würde«. (Der ehemalige Legationsrat Horst Grell, ein Zeuge der Verteidigung, der Eichmann von Ungarn her kannte, sagte aus, daß er immer der Meinung gewesen sei, Eichmann prahle einfach. Und diesen Eindruck muß in der Tat jeder gehabt haben, der ihn hörte.) So war es auch reine Prahlerei, wenn er behauptete, daß er das Gettosystem »erfunden« oder »die Idee geboren« hätte, alle
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