Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
Zwar hatte er ohnehin alles getan, um die »Endlösung« auf den Weg zu bringen, gewisse Zweifel »an so einer Gewaltlösung« hatten aber immer noch an ihm genagt, nun jedoch waren diese Zweifel zerstreut. »Hier auf der Wannsee-Konferenz sprachen nun die Prominenten des damaligen Reiches, es befahlen die Päpste.« Jetzt sah er mit eigenen Augen und hörte mit eigenen Ohren, daß nicht nur Hitler, nicht nur Heydrich und die »Sphinx« Müller, nicht allein die SS und die Partei, sondern daß die Elite des guten alten Staatsbeamtentums sich mit allen anderen und untereinander um den Vorzug stritt, bei dieser »gewaltsamen« Angelegenheit in der vordersten Linie zu stehen. »In dem Augenblick hatte ich eine Art Pilatusscher Zufriedenheit in mir verspürt, denn ich fühlte mich bar jeder Schuld.« Wer war er, um sich ein Urteil anzumaßen? Von solcher »Arroganz« war er ganz frei. »Was soll ich als kleiner Mann mir Gedanken darüber machen?« Nun, er war nicht der erste und auch nicht der letzte, der aus Bescheidenheit zu Fall kam.
Danach verlief, wie Eichmann sich erinnerte, alles mehr oder weniger reibungslos und wurde rasch zur Routine. Er selbst wurde bald zum Fachmann für Judenaussiedlung, so wie er früher ein Fachmann für »forcierte Auswanderung« gewesen war. In einem Land nach dem anderen ereignete sich das gleiche: die Juden mußten sich registrieren lassen, wurden gezwungen, als auffallendes Kennzeichen den gelben Stern zu tragen; sie wurden zusammengetrieben und deportiert, die verschiedenen Transporte wurden nach dem einen oder anderen der Vernichtungslager im Osten dirigiert, je nach deren augenblicklicher Kapazität; wenn ein Zug voller Juden in einem Lager ankam, wurden die kräftigeren zur Arbeit selektiert, oft genug zur Bedienung der Vernichtungsanlagen, und die übrigen sofort umgebracht. Nur gelegentlich kamen geringfügige Stockungen vor. Das Auswärtige Amt stand in Kontakt mit den Behörden aller Staaten, die von den Nazis besetzt oder mit ihnen verbündet waren, und setzte sie unter Druck, ihre Juden zu deportieren – oder verhinderte, was auch vorkam, daß die ausländischen Behörden ihre Juden Hals über Kopf nach dem Osten evakuierten, außerhalb der vorgeschriebenen Reihenfolge, ohne die angebrachte Rücksicht auf die Aufnahmekapazität der Vernichtungszentren. (So hat jedenfalls Eichmanns Gedächtnis die Dinge registriert; in Wirklichkeit war es allerdings nicht ganz so einfach.) Die juristischen Fachleute sorgten für die notwendige gesetzgeberische Regelung, um die Opfer staatenlos zu machen, denn das war aus zwei Gründen wichtig; erstens konnte dann kein einziger Staat Nachforschungen nach den Deportierten anstellen, und zweitens besaßen damit die jeweiligen Heimatländer der Juden juristische Möglichkeiten zur Konfiskation ihres Besitzes. Reichsfinanzministerium und Reichsbank stellten Auffangvorrichtungen für die enorme Beute aus ganz Europa bereit, für Wertgegenstände bis zu Uhren und Goldzähnen, die in der Reichsbank sortiert und an die preußische Staatsmünze zum Einschmelzen weitergeleitet wurden. Das Reichsverkehrsministerium stellte die erforderlichen Eisenbahnwagen – meistens Güterwagen – selbst in Zeiten größter Knappheit an Transportmitteln, als die Parole »Räder müssen rollen für den Sieg« hieß, zur Verfügung; es sorgte dafür, daß die Termine der Deportationszüge nicht mit anderen Fahrplänen kollidierten. Die Judenräte wurden von Eichmann oder seinen Leuten darüber informiert, wie viele Juden man für die jeweils bewilligten Züge benötigte, und sie stellten danach die Listen der zu Deportierenden auf. Und die Juden ließen sich registrieren, sie füllten zahllose Formulare aus, beantworteten unendlich ausführliche Fragebogen über ihren Besitz, damit die Beschlagnahme ohne Komplikationen erfolgen konnte, und dann fanden sie sich pünktlich an den Sammelstellen ein und kletterten in die Güterwagen. Die wenigen, die sich zu verbergen oder zu entfliehen suchten, wurden von besonderen jüdischen Polizeitruppen ausfindig gemacht. Eichmann sah nur, daß keiner protestierte, daß alles klappte, weil alle »zusammenarbeiteten«. »Immerzu fahren hier die Leute zu ihrem eigenen Begräbnis« , schrieb eine Berliner Jüdin im Jahre 1943. Sie wußten alle Bescheid.
Aber die Fügsamkeit der jüdischen Behörden, die Fügsamkeit der Opfer allein hätten schwerlich genügt, die enormen Schwierigkeiten zu beseitigen, auf die solch eine Aktion
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