Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
Arbeitskräfte heranziehen müssen, als man zu diesem Zweck einsetzen konnte. (»Ob Widerstand oder auch nur die Weigerung mitzumachen etwas genützt hätte, steht dahin. Ganz ohne Zweifel aber wäre es ohne die Mitarbeit der Opfer schwerlich möglich gewesen, daß wenige tausend Menschen, von denen die meisten obendrein in Büros saßen, viele Hunderttausende andere Menschen vernichteten … Auf dem ganzen Weg in den Tod bekamen die polnischen Juden kaum mehr als eine Handvoll Deutsche zu sehen.« [So R. Pendorf in der oben erwähnten Schrift.] Und das gleiche trifft in sogar noch verstärktem Ausmaß für die Juden zu, die man nach Polen in den Tod transportierte.) Deshalb wurden parallel mit der Errichtung von Quisling-Regierungen in den besetzten Ländern jüdische Zentralbehörden eingesetzt – wo die Nazis keine Marionettenregierung einsetzen konnten, vermochten sie es auch nicht, die Mitarbeit der Juden zu mobilisieren (wie wir später sehen werden). Doch während die Mitglieder der Quisling-Kabinette für gewöhnlich aus bisherigen Oppositionsparteien genommen wurden, waren die Mitglieder der Judenräte in der Regel die anerkannten jüdischen Führer des Landes, in deren Hände die Nazis eine enorme Macht legten, die Macht über Leben und Tod – so lange, bis sie selbst auch deportiert wurden, immerhin gewöhnlich »nur« nach Theresienstadt oder Bergen-Belsen, wenn sie aus Mittel- und Westeuropa kamen, jedoch nach Auschwitz, wenn es sich um Ostjuden handelte.
Diese Rolle der jüdischen Führer bei der Zerstörung ihres eigenen Volkes ist für Juden zweifellos das dunkelste Kapitel in der ganzen dunklen Geschichte. Wohl sind diese Dinge nicht unbekannt gewesen, aber die furchtbaren und erniedrigenden Einzelheiten dieser Arbeit sind erst jetzt in Raul Hilbergs grundlegendem Buch »The Destruction of the European Jews« so zusammengestellt worden, daß sie ein einheitliches Bild ergeben. In dieser Frage der Kooperation gab es keinen Unterschied zwischen den weitgehend assimilierten jüdischen Gemeinden in Mittel- und Westeuropa und den jiddisch sprechenden Massen des Ostens. In Amsterdam wie in Warschau, in Berlin wie in Budapest konnten sich die Nazis darauf verlassen, daß jüdische Funktionäre Personal- und Vermögenslisten ausfertigen, die Kosten für Deportation und Vernichtung bei den zu Deportierenden aufbringen, frei gewordene Wohnungen im Auge behalten und Polizeikräfte zur Verfügung stellen würden, um die Juden ergreifen und auf die Züge bringen zu helfen – bis zum bitteren Ende, der Übergabe des jüdischen Gemeindebesitzes zwecks ordnungsgemäßer Konfiskation. Auch verteilten sie den gelben Stern, und zuweilen wurde, wie z. B. in Warschau, »der Verkauf von Armbinden zum regelrechten Geschäftsunternehmen; da gab es gewöhnliche Armbinden aus Stoff und abwaschbare Luxusarmbinden aus Kunststoff«. Noch heute bezeugen ihre von den Nazis beeinflußten, aber nicht diktierten Manifeste, wie sie ihre neue Macht genossen – »der jüdische Zentralrat ist mit der Vollmacht ausgestattet, über den gesamten geistigen und materiellen Besitz der Juden und über die vorhandenen jüdischen Arbeitskräfte zu verfügen«, kündigte die erste Verlautbarung des Budapester Rats an. Wir wissen, wie den jüdischen Funktionären zumute war, als man sie zu Werkzeugen des Mordens machte – wie Kapitänen, »die das sinkende Schiff doch noch sicher in den Hafen bringen, weil sie einen großen Teil der kostbaren Ladung über Bord geworfen hatten«, wie Rettern des jüdischen Volkes, die »mit hundert Opfern tausend Menschen retten, mit tausend Opfern zehntausend«. (Die Wirklichkeit sah noch erheblich anders aus: Dr. Kastner z. B. erkaufte in Ungarn die Rettung von genau 1684 Menschen mit ungefähr 476 000 Opfern.) Da man noch nicht einmal mit »tausend Opfern hundert Menschen« rettete, durfte man in der Meinung der Judenräte auf keinen Fall die Auswahl »dem blinden Zufall« überlassen; und diejenigen, die dem Zufall zuvorkamen, waren der Meinung, sie seien im Besitz »wahrhaft heiliger Grundsätze« als »Lenker der schwachen menschlichen Hand, die den Namen des Unbekannten aufs Papier schreibt und damit über Leben und Tod entscheidet«. Und wen schrieben die »heiligen Grundsätze« zur Rettung vor? Diejenigen, »die zeitlebens für den Zibur [die Gemeinschaft] gewirkt hatten«, also die Funktionäre, und die »prominentesten Juden« – wie im Kastner-Bericht nachzulesen ist.
Niemand hielt es für
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