Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Titel: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Arendt
Vom Netzwerk:
Vernichtung ganzer Völker zu installieren. Es war Hitlers Kanzlei oder das Reichsgesundheitsamt, welche die Befehle ausgaben, nicht Himmler oder das RSHA. Erst als alles vorbereitet war, wurde die Vernichtungsmaschine der Verwaltungshoheit Himmlers unterstellt.
    In dem ausgeklügelten System von Schlüssel- und Tarnausdrücken hat keine einzige nazistische »Sprachreglung« einen so entscheidenden Einfluß auf die Mentalität der »Endlösungs«-Akteure gehabt wie dieser erste Morderlaß Hitlers, der das Wort »morden« durch die Formulierung »den Gnadentod gewähren« ersetzte. Als Eichmann im Polizeiverhör gefragt wurde, ob die Direktive, »unnötige Härten zu vermeiden«, nicht einen ironischen Klang habe, angesichts der Tatsache, daß die Bestimmung dieser Menschen sowieso der sichere Tod war, verstand er die Frage gar nicht, so fest verankert war in ihm die Überzeugung, daß nicht Mord, sondern einzig die Zufügung unnötiger Schmerzen eine unverzeihliche Sünde sei. Er zeigte während des Prozesses unverkennbare Anzeichen aufrichtiger Empörung, wenn Zeugen über Grausamkeiten und Greueltaten der SS berichteten – allerdings entging diese Empörung dem Gericht und vielen Zuhörern, die seine krampfhafte Bemühung um Haltung als Gleichgültigkeit mißverstanden und daraus schlossen, daß er »durch nichts zu rühren« sei. In echte Erregung versetzte ihn nicht die Beschuldigung, Millionen von Menschen in den Tod geschickt zu haben, sondern allein die (vom Gericht zurückgewiesene) Beschuldigung eines Zeugen, er habe einen jüdischen Jungen zu Tode geprügelt.
    Gewiß hatte er Menschen auch in den Aktionsbereich der Einsatzgruppen geschickt, die keinen »Gnadentod gewährten«, sondern ihre Opfer abschossen, aber wahrscheinlich war ihm in den späteren Stadien der »Endlösung« wohler zumute, als infolge der stets wachsenden Kapazität der Gaskammern »unnötige Härten« vermieden werden konnten. Er muß in der neuen Methode sogar einen entscheidenden Fortschritt in der Haltung der Naziregierung gegenüber den Juden gesehen haben, denn zu Beginn des Vergasungsprogramms war ausdrücklich betont worden, daß »die Wohltat der Euthanasie nur Deutschen zugute kommen« sollte. Als der Krieg fortschritt und gewaltsamer und schrecklicher Tod überall wütete – an der Ostfront in Rußland, in den Sandwüsten Afrikas, in Italien, an den Küsten Frankreichs, in den Ruinen der deutschen Städte –, mögen die Gaskammern in Auschwitz und Kulmhof, in Maidanek und Belczek, in Treblinka und Sobibor wirklich als »Gemeinnützige Stiftung für Anstaltspflege« gewirkt haben, wie die Experten des »Gnadentodes« die Gasanstalt für die Geisteskranken genannt hatten, wenn sie nicht einfach die Abkürzung »Stiftung« gebrauchten. Immerhin hat es an der Ostfront seit Anfang 1942 Euthanasiekommandos gegeben, die »den Verwundeten in Eis und Schnee halfen«, und so »streng geheim« diese Morde an verwundeten Soldaten auch gehalten wurden, es wußten doch viele darüber Bescheid, ganz gewiß die Akteure der »Endlösung«.
    Es ist häufig darauf hingewiesen worden, daß die Vergasungen von Geisteskranken in Deutschland abgebrochen werden maßten, weil in der Bevölkerung und von seiten einiger mutiger kirchlicher Würdenträger Protest erhoben wurde, daß aber dann, als das Programm auf die Vergasung von Juden um geschaltet wurde, solche Proteste nicht laut wurden, obgleich einige Todeslager auf damals deutschem Gebiet lagen und von deutscher Bevölkerung umgeben waren. Aber als es zu den Protesten kam, war noch nicht lange Krieg; ganz abgesehen von den Folgen einer »Erziehung zum Euthanasiegedanken«, ist es sehr wohl denkbar, daß sich im Verlauf des Krieges die allgemeine Einstellung gegenüber einem »schmerzlosen Tod durch Vergasung« geändert hat. Diese Dinge lassen sich schwer beweisen; wegen der Geheimhaltung des ganzen Unternehmens existieren keine Dokumente, mit denen man sie belegen könnte, und keiner der Kriegsverbrecher hat je darüber gesprochen, nicht einmal die Angeklagten im Nürnberger Ärzteprozeß, die mit Zitaten aus der internationalen Literatur zum Thema Euthanasie um sich warfen. Vielleicht hatten sie inzwischen das Klima der öffentlichen Meinung vergessen, in dem sie gemordet und Mord verordnet hatten, vielleicht hatten sie sich nie weiter darum gekümmert, denn sie hielten sich – irrigerweise – mit ihrer »objektiven und wissenschaftlichen« Einstellung für unendlich fortgeschrittener als

Weitere Kostenlose Bücher