Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
jedoch bei den hohen Beamten, die direkt den Ministern unterstanden, denn diese Männer, in jeder Staatsform das Rückgrat der Verwaltung, konnten nicht leicht ersetzt werden; Hitler hatte sie toleriert, wie Adenauer nach ihm sie tolerieren sollte, soweit sie nicht rettungslos kompromittiert waren. Diese Männer nun stellten die Führung des Dritten Reiches vor ein akutes Problem, denn die Staatssekretäre und die juristischen und sonstigen Fachleute in den verschiedenen Ministerien waren häufig nicht einmal Parteigenossen, und Heydrichs Bedenken, ob er sie zu aktiver Mitarbeit an den Massenmorden würde veranlassen können, waren durchaus verständlich. Heydrich rechnete, Eichmann zufolge, mit den »größten Schwierigkeiten«. Ein großer Irrtum, wie sich zeigen sollte.
Das Ziel der Wannsee-Konferenz war, alle Maßnahmen zur Durchführung der »Endlösung« zu koordinieren. Zunächst drehte sich die Erörterung um »komplizierte juristische Fragen« wie die Behandlung von Halb- und Vierteljuden: sollten sie getötet oder bloß sterilisiert werden? Danach folgte eine offenherzige Diskussion über die »verschiedenen Arten der Lösungsmöglichkeiten«, auf deutsch, über verschiedene Tötungsmethoden, und auch hierbei herrschte nicht allein »eine freudige Zustimmung allseits«, sondern, wie Eichmann sich deutlich erinnerte, darüber hinaus etwas gänzlich Unerwartetes, ich möchte sagen, sie Übertreffendes und Überbietendes im Hinblick auf die Forderung zur ›Endlösung‹«. Den außerordentlichen Enthusiasmus teilte vor allem Dr. Wilhelm Stuckart, Staatssekretär im Ministerium des Innern, der dafür bekannt war, daß er sich gegenüber »radikalen« Parteimaßnahmen sehr zurückhaltend und zögernd verhielt, weil er eben, jedenfalls nach der Aussage von Dr. Hans Globke vor dem Nürnberger Tribunal, ein aufrechter Verfechter von Recht und Gesetz war. Es gab allerdings gewisse Schwierigkeiten. Den Staatssekretär Josef Bühler, damals der zweithöchste Mann im Generalgouvernement, erschreckte die Aussicht, daß Juden vom Westen nach dem Osten evakuiert würden, weil das zusätzliche Juden für die polnischen Gebiete bedeutete, und er schlug vor, diese Evakuierungen hinauszuschieben – es wäre besser, »wenn mit der ›Endlösung‹ dieser Frage im Generalgouvernement begonnen würde, weil hier das … Transportproblem keine übergeordnete Rolle spielt«. Die Herren aus der Wilhelmstraße erschienen mit einem eigenen, sorgfältig ausgearbeiteten Memorandum über »Wünsche und Ideen des Auswärtigen Amtes zur vorgeschlagenen Gesamtlösung der Judenfrage in Europa«, das nicht viel Beachtung fand. Die Hauptsache war, wie Eichmann ganz richtig feststellte, daß die Staatsbeamten der verschiedenen Ressorts nicht nur ihre Meinung äußerten, sondern selbst konkrete Vorschläge machten. Die Sitzung dauerte nicht länger als ein bis anderthalb Stunden, danach wurden Getränke serviert, und man aß gemeinsam zu Mittag – »ein gemütliches Zusammensein«, bei dem sich engere persönliche Kontakte anbahnen sollten.
Dieses Treffen war ein sehr wichtiges Ereignis für Eichmann, der noch nie auf einer Gesellschaft gewesen war, »wo derart hohe Persönlichkeiten daran teilnahmen«. Dienstlich wie gesellschaftlich stand er weit unter allen anderen Anwesenden; er hatte die Einladungen verschickt und einige (mit unglaublichen Fehlern gespickte) statistische Angaben für Heydrichs Einleitungsreferat zusammengestellt – elf Millionen Juden waren zu töten, ein Unternehmen von ziemlichen Ausmaßen also –, und später sollte er dann das Protokoll vorbereiten; kurz, er amtierte als Sekretär der Konferenz. Deshalb durfte er auch, nachdem die Würdenträger des Staates gegangen waren, noch mit seinen Vorgesetzten zusammenbleiben:
»Ich weiß noch, daß im Anschluß an diese ›Wannsee-Konferenz‹ Heydrich, Müller und meine Wenigkeit an einem Kamin gemütlich saßen …, nicht um zu fachsimpeln, sondern uns nach den langen, anstrengenden Stunden der Ruhe hinzugeben«;
und noch im Gefängnis erinnerte sich Eichmann an die allgemeine Zufriedenheit, besonders an Heydrichs gute Laune:
»Ich weiß noch … daß ich Heydrich da zum erstenmal habe rauchen sehen …, und ich dachte noch, heute raucht Heydrich, was ich sonst nie sah. Er trinkt Kognak, das ich jahrelang nicht gesehen habe, daß Heydrich irgendein alkoholisches Getränk trank.«
Noch aus einem anderen Grund war der Tag dieser Konferenz für Eichmann unvergeßlich.
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