Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
sein. Um Ausnahmen gebeten zu werden, gelegentlich Ausnahmen zu gewähren und sich so den Dank ihrer Opfer zu verdienen, das mußte ihnen zumindest das Gefühl verschaffen, daß selbst ihre Gegner an der Rechtsgültigkeit ihres Tuns nicht zweifelten.
Übrigens irrten sich sowohl Propst Grüber als auch das Jerusalemer Gericht, wenn sie annahmen, daß ausschließlich Gegner des Regimes um Ausnahmen ersuchten. Im Gegenteil, wie Heydrich auf der Wannsee-Konferenz ausdrücklich feststellte, war die Einrichtung eines Gettos für privilegierte Kategorien in Theresienstadt durch die große Zahl derartiger Interventionen von allen Seiten veranlaßt worden. Theresienstadt wurde später als Potemkinsches Dorf für Besucher aus dem Ausland hergerichtet und diente dazu, die Außenwelt zu täuschen, doch war das nicht die ursprüngliche Absicht. Die schrecklichen periodischen Aussiebungen in diesem »Paradies« – »wenn ich jetzt vergleichen will zwischen dem Leben in einem Konzentrationslager und dem Leben in Theresienstadt, so ist der Unterschied selbstverständlich wie Tag und Nacht gewesen«, sagte Eichmann ganz richtig – waren notwendig, weil es niemals genug Platz für alle die Privilegierten gab, und wir wissen aus einer von Ernst Kaltenbrunner, dem Chef des RSHA, erlassenen Anordnung, daß »bei der Auswahl der für einen Abtransport in Betracht kommenden Juden … darauf gesehen [wurde], daß ausschließlich Juden erfaßt werden, die über keine besonderen Beziehungen und Verbindungen verfügen«. Anders gesagt, die weniger »prominenten« Juden wurden ständig geopfert zugunsten jener, deren Verschwinden im Osten unliebsame Nachfragen zur Folge haben konnte. Die »besonderen Beziehungen und Verbindungen« brauchten nicht notwendigerweise über Deutschland hinauszureichen. Laut Himmler »kommen sie alle an, die braven 80 Millionen Deutschen, und jeder hat seinen anständigen Juden. Es ist ja klar, die anderen sind Schweine, aber dieser eine ist ein prima Jude.« Hitler selbst soll 340 »prima Juden« gekannt haben, die er entweder ganz zu Deutschen ernannt oder mit den Privilegien von Halbjuden ausgestattet hat. Tausende von Halbjuden waren von allen Einschränkungen befreit, was Heydrichs Rolle in der SS, Generalfeldmarschall Erhard Milchs Rolle in Görings Luftwaffe und Robert Leys Rolle in der Arbeitsfront erklären mag, denn es war allgemein bekannt, daß Heydrich und Milch Halbjuden waren und daß auch mit Leys »Ahnenpaß« nicht alles in Ordnung war, ja daß sogar »jüdische Spuren in der Verwandtschaft Himmlers« – vermutlich was damals »jüdisch versippt« hieß – zu entdecken waren (J. C. Fest). (Gerüchten zufolge soll auch Hans Frank, der Generalgouverneur von Polen, jüdischer Abstammung gewesen sein.) Hitler selbst hat sich offenbar über die Vorteile dieser Ausnahmen recht unverblümt im internen Kreis geäußert. Anläßlich Heydrichs empfahl er, diesen »kochbegabten, aber auch sehr gefährlichen Mann … der Bewegung [zu] erhalten«, gerade weil man »solche Leute« ihrer nichtarischen Abstammung wegen ganz in der Hand habe; diesem Zweck dienten spezielle Personalkarteien, die sich Bormann, aber auch Himmler und Heydrich anlegten. (Von den Hauptkriegsverbrechern haben nur zwei im Angesicht des Todes bereut: Frank und Ley in den Todeszellen in Nürnberg. Ähnliches wird auch von Heydrich berichtet: er habe sich in den acht Tagen, die er nach seiner Verwundung durch tschechische Patrioten im Sterben lag, »von den einstigen Exzessen der Macht abgewandt« – wie Fest berichtet. Aber auch der Gedanke an diese verspätete Reue ist nicht geeignet, uns über die beunruhigende Gewissensfrage hinwegzuhelfen. Da es sich in allen Fällen um »Nichtarier« handelte, regt sich der Verdacht, daß sie nicht so sehr das Morden als solches als den Verrat am eigenen Volk bereuten.) Wenn Interventionen zugunsten »prominenter« Juden von »prominenten« Leuten stammten, waren sie oft recht erfolgreich. So verwendete sich Sven Hedin, einer der glühendsten Verehrer Hitlers, für den bekannten Geographen Professor Philippsson aus Bonn, weil dieser unter unwürdigen Bedingungen in Theresienstadt lebte; Hedin drohte in einem Brief an Hitler, seine Haltung gegenüber Deutschland werde von Philippssons Schicksal abhängen, woraufhin (wie H. G. Adler in seinem Buch über Theresienstadt berichtet) Professor Philippsson sofort mit einer besseren Unterkunft versorgt wurde.
Noch heute ist in Deutschland die Vorstellung
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