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Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Titel: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Arendt
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von den »prominenten« Juden nicht verschwunden. Während die Kriegsteilnehmer und andere privilegierte Gruppen nicht mehr erwähnt werden, beklagt man das Schicksal »prominenter« oder »berühmter« Juden immer noch auf Kosten aller anderen. Es gibt nicht wenige, besonders unter den Gebildeten, die heute noch öffentlich die Tatsache beklagen, daß Deutschland Einstein aus dem Lande gejagt hat – ohne zu begreifen, ein wie viel größeres Verbrechen es war, Hänschen Cohn von nebenan zu töten, auch wenn er kein Genie war.

VIII Von den Pflichten eines gesetzestreuen Bürgers
    Eichmann hatte also reichlich Gelegenheit, sich wie Pontius Pilatus »bar jeder Schuld« zu fühlen, und wie die Monate und Jahre verstrichen, schwand sein Bedürfnis nach Gefühlen überhaupt. So und nicht anders waren die Dinge eben, erheischte es das Gesetz des Landes, gegründet auf den Befehl des Führers. Was er getan hatte, hatte er seinem eigenen Bewußtsein nach als gesetzestreuer Bürger getan. Er habe seine Pflicht getan, wie er im Polizeiverhör und vor Gericht unermüdlich versicherte, er habe nicht nur Befehlen gehorcht, er habe auch das Gesetz befolgt. Eichmann besaß eine verschwommene Vorstellung von der Tragweite dieser Unterscheidung, doch gingen weder der Verteidiger noch die Richter darauf ein. Sie warfen sich die Worte »höherer Befehl« und »Hoheitsakt«, die bereits bei den Nürnberger Prozessen die gesamte Diskussion dieses Problems beherrscht hatten, wie abgegriffene Münzen zu, bloß weil sie die Illusion vermittelten, man könne das ganz Beispiel lose nach Präzedenzfällen und den daraus hergeleiteten Maßstäben beurteilen. In diesem Gerichtssaal war Eichmann mit seinen recht bescheidenen geistigen Gaben sicherlich , der letzte, von dem man einen Zweifel an der Zulänglichkeit dieser Begriffe und den Versuch, selbst zu denken, erwarten konnte. Da er ja nicht nur das, was er für die Pflichten eines gesetzestreuen Bürgers hielt, erfüllt hatte, sondern vor allem, jederzeit auf genügend »Deckung« bedacht, auf Befehl gehandelt hatte, geriet er ganz aus dem Konzept, bis er schließlich abwechselnd die Tugenden und die Untugenden des blinden Gehorsams betonte, des »Kadavergehorsams«, wie er selbst sagte.
    Ein erstes Anzeichen von Eichmanns vager Vorstellung, daß in dieser ganzen Angelegenheit mehr zur Diskussion stehen könnte als die Frage, ob der Soldat auch Befehlen gehorchen müsse, die ihrer Natur und ihrer Absicht nach eindeutig verbrecherisch sind, ergab sich während des Polizeiverhörs, als er plötzlich mit großem Nachdruck beteuerte, sein Leben lang den Moralvorschriften Kants gefolgt zu sein, und vor allem im Sinne des kantischen Pflichtbegriffs gehandelt zu haben. Das klang zunächst nur empörend und obendrein unverständlich, da Kants Morallehre so eng mit der menschlichen Fähigkeit zu urteilen, also dem Gegenteil von blindem Gehorsam, verbunden ist. Der verhörende Offizier hatte sich darauf nicht weiter eingelassen, doch Richter Raveh, ob nun aus Neugier oder aus Entrüstung über Eichmanns Versuch, im Zusammenhang mit seinen Untaten sich auf Kant zu berufen, entschloß sich, den Angeklagten hierüber zu befragen. Und zu jedermanns Überraschung konnte Eichmann eine ziemlich genaue Definition des kategorischen Imperativs vortragen: »Da verstand ich darunter, daß das Prinzip meines Wollens und das Prinzip meines Strebens so sein muß, daß es jederzeit zum Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung erhoben werden könnte«, was auf Diebstahl oder Mord z. B. nicht gut anzuwenden ist, da der Dieb oder Mörder unmöglich in einem Rechtssystem leben wollen kann, das anderen das Recht gibt, ihn zu bestehlen oder zu ermorden. Auf weitere Befragung fügte er hinzu, daß er Kants Kritik der praktischen Vernunft gelesen habe. Weiter erklärte er, daß er in dem Augenblick, als er mit den Maßnahmen zur »Endlösung« beauftragt wurde, aufgehört habe, nach kantischen Prinzipien zu leben, er habe das gewußt und habe sich mit den Gedanken getröstet, nicht länger »Herr über mich selbst« gewesen zu sein – »ändern konnte ich nichts«. Was er dem Gericht darzulegen unterließ, war, daß er in jener »Zeit … der von Staats wegen legalisierten Verbrechen«, wie er sie jetzt selber nannte, die Kantische Formel nicht einfach als überholt beiseite getan hat, sondern daß er sie sich vielmehr so zurechtbog, bis sie ihm im Sinne von Hans Franks Neuformulierung »des kategorischen Imperativs im

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