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Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Titel: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Arendt
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dubiose Kurt Becher. Eichmann bestritt, daß Himmler ihn angeschrien habe, nicht aber, daß eine solche Besprechung stattgefunden habe. Himmler kann dem Wortlaut nach so nicht gesprochen haben, er wußte natürlich, daß das RSHA nicht 1933 gegründet worden war, sondern 1939 und auch nicht von ihm, sondern von Heydrich mit seiner Billigung. Dennoch muß sich so etwas Ähnliches zugetragen haben; Himmler hat damals nach allen Himmelsrichtungen Befehle gegeben, daß die Juden gut behandelt werden sollten – er hielt sie für »sein bestes Kapital« –, und das muß für Eichmann eine niederschmetternde Erfahrung gewesen sein.
    Eichmanns letzte »Gewissenskrise« begann mit seiner Entsendung nach Ungarn im März 1944, als die Rote Armee auf ihrem Vormarsch durch die Karpaten sich der ungarischen Grenze näherte. Ungarn war 1941 auf Hitlers Seite in den Krieg eingetreten, aus dem einzigen Grunde, zusätzliches Territorium von seinen Nachbarn, von der Slowakei, Rumänien und Jugoslawien zu gewinnen. Die ungarische Regierung, schon vorher ausgesprochen antisemitisch, begann jetzt, alle staatenlosen Juden aus den neuerworbenen Gebieten zu deportieren. (In fast allen Ländern begannen die Aktionen gegen die Juden mit den Staatenlosen.) Das geschah ganz außerhalb des Rahmens der »Endlösung«, und es paßte ganz und gar nicht zu dem damals gerade vorbereiteten detaillierten Gesamtplan, nach dem Europa »vom Westen nach dem Osten durchgekämmt« werden sollte, so daß die Aktion in Ungarn auf der Dringlichkeitsliste ziemlich unten stand. Die staatenlosen Juden waren von der ungarischen Polizei in die nächstgelegenen russischen Gebiete abgeschoben worden, und die dortigen deutschen Besatzungsbehörden hatten gegen ihr Eintreffen protestiert; die Ungarn hatten mehrere tausend arbeitsfähige Männer zurückgeholt und die übrigen durch ungarisches Militär unter Anleitung deutscher Polizeieinheiten erschießen lassen. Weiter jedoch wollte Admiral Horthy, der faschistische Beherrscher des Landes, nicht gehen – vermutlich wegen des bremsenden Einflusses, der von Mussolini und vom italienischen Faschismus ausging –, und so war Ungarn in den dazwischenliegenden Jahren, ähnlich wie Italien, zu einem Rettungshafen für Juden geworden, den sogar Flüchtlinge aus Polen und der Slowakei manchmal noch erreichen konnten. Durch die Gebietserweiterung und das Einsickern von Flüchtlingen war die Zahl der in Ungarn lebenden Juden von etwa 500 000 vor dem Krieg bis zum Jahre 1944, als Eichmann seine Aktivität dorthin verlegte, auf etwa 800 000 angewachsen.
    Wie wir heute wissen, verdanken diese 300 000 von Ungarn neu erworbenen Juden ihre zeitweilige Sicherheit mehr der deutschen Gründlichkeit, die sich mit »Teillösungen« nicht befassen wollte, als dem guten Willen der Ungarn, ihnen Asyl zu gewähren. 1942 hatte Ungarn unter dem Druck des deutschen Auswärtigen Amtes (das gegenüber den Verbündeten Deutschlands nicht mit Hinweisen sparte, daß nicht ihr Beitrag zum Endsieg, sondern ihr Beitrag zur »Endlösung« als Prüfstein ihrer Zuverlässigkeit angesehen würde) angeboten, alle jüdischen Flüchtlinge auszuliefern. Das Auswärtige Amt hatte dies als einen Schritt in der richtigen Richtung begrüßt, doch Eichmann hatte Einwände gemacht, er hielt es aus technischen Gründen für »besser, mit dieser Aktion so lange zu warten, bis Ungarn bereit ist, auch die ungarischen Juden in die Maßnahmen einzubeziehen«. Es würde zu teuer, wenn für eine einzige Kategorie »der ganze Evakuierungsapparat in Bewegung gesetzt … wird …, ohne daß man der Lösung der Judenfrage in Ungarn näher gekommen wäre«. Jetzt aber, 1944, war Ungarn »näher gekommen«, denn zwei Divisionen der deutschen Armee hatten das Land am 19. März besetzt. Mit ihnen war der neue Reichsbevollmächtigte eingetroffen, Himmlers Vertrauensmann im Auswärtigen Amt, SS-Standartenführer Dr. Edmund Veesenmayer, und mit ihm kam SS-Obergruppenführer Otto Winkelmann, der als Mitglied des Korps der Höheren SS- und Polizeiführer direkt unter Himmlers Befehl stand. Als dritter SS-Offizier traf Eichmann in Ungarn ein, der Müller und Kaltenbrunner vom RSHA unterstellte Fachmann für die Evakuierung und Deportation von Juden. Hitler selbst ließ keinen Zweifel daran, was die Ankunft dieser drei Herren bedeutete; er hatte Horthy in einer berühmt gewordenen Besprechung vor der Besetzung Ungarns erklärt, daß »Ungarn noch nicht die notwendigen Schritte eingeleitet

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