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Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)

Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)

Titel: Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klausner
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es ihr zu, derart hofiert zu werden.
    Doch der
Schein trog. Kaum hatte sich das Taxi in Bewegung gesetzt, verschwand die einstudierte
Pose und wich einem Blick, der den Fahrer bewog, sowohl Neugierde als auch Plauderlaune
für den Rest der Fahrt zu unterdrücken. An Konversation, so schien es, war die Unbekannte
nicht interessiert, und das traf auch auf die Sehenswürdigkeiten entlang der Route
zu.
    Und so kam
es, dass der Mittfünfziger, der dem Klischee des schnodderigen, schwadronierenden
und frei nach Schnauze parlierenden Berliners perfekt entsprach, seine Mitteilsamkeit
bezähmte und den Weg zum Ernst-Reuter-Platz einschlug. Dort angekommen, bog er nach
rechts, darauf bedacht, nach vorn und keinesfalls in den Rückspiegel zu schauen.
    Die Frau,
deren Blick er wie eine Messerspitze im Nacken spürte, wurde ihm unheimlich. So
unheimlich, dass er stur geradeaus blickte.
     
    *
     
    Das war nicht das Berlin, wie sie
es kannte, nicht mehr ihr Berlin. Die Stadt, in der sie aufgewachsen war,
existierte nicht mehr, und vieles deutete darauf hin, dass es kein Zurück mehr geben
würde.
    Vieles,
aber nicht alles.
    Noch aber
gab es Leute wie sie. Menschen, die sich nicht einlullen, die sich vom Ungeist,
der immer mehr um sich griff, nicht in die Irre führen lassen würden. Volksgenossen,
auf die Verlass war, auf die man in Zeiten wie diesen zählen konnte.
    Niemand,
nicht einmal dieser Wiesenthal [31] ,
würde das Kunststück fertigbringen, sie ausfindig zu machen. Exakt 22 Jahre hatte
sie in dieser Stadt verbracht, Höhen und Tiefen durchlitten, Wurzeln geschlagen.
Dann aber, einem untrüglichen Instinkt folgend, hatte sie sämtliche Brücken abgebrochen
und den Großteil der restlichen drei Kriegsjahre fernab der Hölle verbracht, die
über Berlin hereingebrochen war. Sie, die Frau ohne Gesicht, das Phantom, an das
sich kein Mensch, geschweige denn irgendein Schnüffler, erinnern würde.
    Schnüffler,
oder solche, die sich dazu auserkoren fühlten, in den Leichenbergen von damals zu
wühlen, gab es in der Tat genug. Kaum ein Tag, an dem nicht von den Sünden der Vergangenheit
gefaselt, zu Kreuze gekrochen oder das Büßergewand übergestreift wurde. Kein Tag,
an dem in der Presse nicht von Eichmann und dem Exempel, das an ihm statuiert werden
sollte, die Rede war. Die Unbekannte im Fond des Taxis, welches sich der Siegessäule
näherte, lachte verächtlich auf. Hinterher, sinnierte sie, will es eben niemand
gewesen sein. Schon gar nicht, wenn die Suche nach den Schuldigen beginnt.
    »So, Gnädigste
– da wären wir.« Ja, da waren sie nun. Endstation Brandenburger Tor. Circa 100 Meter
von der Mauer entfernt.
    »Schöne
Bescherung, wa?«
    »Kann man
wohl sagen.«
    »Wollense
vielleicht aussteigen und eenen Blick von der Aussichtsplattform nach drüben …«
    »Nicht nötig!«,
entschied sie barsch, ein Relikt aus der Zeit, als die Häftlinge in Theresienstadt
nach ihrer Pfeife tanzen mussten. »Ich habe genug gesehen.«
    »Wat nu?«
    Gute Frage!,
dachte sie. Und höchste Zeit, Teil zwei ihres Plans in die Tat umzusetzen. »Seien
Sie doch bitte so gut und fahren mich zu dieser Adresse hier!«, erwiderte sie nach
längerem Nachdenken über Sinn und Unsinn ihres Vorhabens, hielt dem Fahrer einen
Zettel vor die Nase und beeilte sich, ihn wieder verschwinden zu lassen.
    »Jeht in
Ordnung!«, antwortete der Taxifahrer und tippte an den Schirm seiner Prinz-Heinrich-Mütze,
die mindestens so alt wie ihr Besitzer zu sein schien. »Is’ ja nich weit von hier.«
    Nein, weit
weg von hier war der Ort, an dem sie ihre Jugend verbracht hatte, ganz gewiss nicht.
Direkt am Landwehrkanal, zwei Kilometer Luftlinie vom Brandenburger Tor entfernt.
Sie hätte auch allein hingefunden. Falls nötig, mit verbundenen Augen.
    Schon die
Zweite!, stellte sie beunruhigt fest, eine Schachtel Benson & Hedges in der
Hand, die normalerweise eine ganze Woche reichte. Doch dann, in Sichtweite des Großen
Sterns, wo das Taxi nach links abbiegen würde, gab sie dem Verlangen nach einer
weiteren Zigarette nach, zündete sie an und machte es sich auf dem Rücksitz bequem.
Die Gelassenheit, welche sie sich erhofft hatte, wollte sich jedoch nicht einstellen.
Im Gegenteil. Je näher dem Ziel, desto größer die Anspannung, die sich in ihr breitmachte.
Eine Tatsache, die ihr zu denken gab, widerstrebte es ihr doch, wenn die Fassade,
hinter die sie sich geflüchtet hatte, ins Wanken geriet.
    Am Großen
Stern, so ihr Eindruck, hatte sich seit damals wenig

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