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Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)

Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)

Titel: Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klausner
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verändert. Der Verkehr war
immer noch der gleiche, wenngleich sich die Fahrzeuge voneinander unterschieden.
Bismarck, Roon [32] und Moltke [33] befanden
sich immer noch an Ort und Stelle, als hätten die Kriege, in die ihr Vaterland verwickelt
war, nie stattgefunden. ›Vaterland‹ – noch so ein Wort, das aus der Mode gekommen
war. Die Unbekannte im Fond des Mercedes Benz W 121 verzog das sorgfältig geschminkte
Gesicht. An die Einweihung des neu gestalteten Platzes aus Anlass von Hitlers 50.
Geburtstag konnte sie sich noch sehr gut erinnern. Sie selbst war damals 19 und
mit Vater, einem hohen Beamten im Reichsaußenministerium, unter den Zuschauern auf
der Ehrentribüne gewesen. Doch damit nicht genug. Im Vorbeigehen hatte der Führer
ein paar Worte mit ihr gewechselt. Mit ihr, der Tochter eines subalternen Beamten!
Kaum vorstellbar, aber wahr. Ihr Vater, ein stockkonservativer Preuße, war davon
nicht gerade angetan gewesen. Sie selbst, seit jenem Tag glühende Hitler-Verehrerin,
umso mehr.
    Überhaupt
– der Führer. Anlass für hitzige Debatten, insbesondere mit ihrem Bruder. Was Vater
betraf, hatte er sich stets herausgehalten und in diplomatischer Zurückhaltung geübt.
An ihrer Treue zum Regime hatte dies jedoch nichts geändert, nicht einmal bei Kriegsende,
als halb Berlin bereits in Trümmern gelegen hatte.
    In jenen
Tagen, als es drunter und drüber ging, hatte sie in der Tat eine Menge Glück gehabt.
Mehr Glück als Verstand, um es plastisch zu formulieren. Am Tag ihrer Abreise, dem
3. Februar 1945, waren genau hier, über diesem Teil Berlins, die Schalen des Zorns
ausgegossen worden. Tausende von Sprengbomben, Brandsätze und Luftminen waren vom
Himmel herabgeregnet, hatten die Gegend dem Erdboden gleichgemacht, das Columbushaus
am Potsdamer Platz in eine lichterloh brennende Fackel verwandelt. Sie aber hatte
– wieder einmal – Glück gehabt. Nur ein paar Minuten, nur ein paar lächerliche Minuten
vor Beginn des Luftalarms um 10.27 Uhr hatte ihr Zug den Anhalter Bahnhof und das
Inferno, welches über Berlin hereinbrach, hinter sich gelassen. Fasziniert von dem
grauenerregenden Spektakel, war sie noch lange am Fenster ihres Abteils gestanden,
auch dann, als der Motorenlärm der US-Bomber und das Geräusch der Detonationen und
explodierenden Minen allmählich abgeklungen war.
    Wie gesagt:
Sie hatte Glück gehabt. Vater und eine junge Nachbarin, der sie zum Abschied ihren
Wintermantel geschenkt hatte, bedauerlicherweise nicht. Wider Willen stahl sich
so etwas wie Wehmut in ihr Gesicht. Ein Luxus, den sie sich immer seltener gönnte.
Pauline, so der Name ihrer Altersgenossin, hatte ihr zum Verwechseln ähnlich gesehen,
und eine Zeit lang waren die Tochter eines Universitätsdozenten und sie unzertrennlich
gewesen. Die Ähnlichkeit hatte immer wieder zu Verwechslungen und darüber hinaus
für kompromittierende Situationen gesorgt. Sehr zum Ärger einer Reihe von Verehrern,
die von ›Hanni und Nanni‹ [34] an der Nase herumgeführt worden waren.
    Wieder zurück
in Theresienstadt, hatte sie bei ihrer Dienststelle Erkundigungen eingezogen. Das
war gar nicht so einfach und vor allem zeitaufwendig gewesen, hatte ihr jedoch die
Gewissheit beschert, dass Vater tot war und die stolze Besitzerin eines Wintermantels
vermisst wurde, vermutlich unter den 3.000 Toten, die Opfer des amerikanischen Terrorangriffs
geworden waren.
    Verblüfft,
um nicht zu sagen aus der Fassung gebracht, hatte sie indes etwas anderes. Verblüfft,
amüsiert und wenig später sogar stimuliert. Auf den Verlustlisten, so die Auskunft,
sei der Name einer gewissen Agnes von Sydow zu finden. Ihr Name . Bestimmt
liege da eine Verwechslung vor, da sie, wovon sich jedermann überzeugen könne, putzmunter
und am Leben sei.
    Na, so putzmunter
auch wieder nicht!, hatte sie in einem Anfall von grimmigem Humor, dem Markenzeichen
derer von Sydow, gedacht. Dann aber, nach kurzem Nachdenken, war ihr die Tragweite
der Nachricht klar geworden. Jetzt, da man sie für tot hielt, waren ihre Aktien
erheblich gestiegen. Nun ja, zum Teil wenigstens, denn welche Frau in ihrem Alter
sehnte sich schon nach einem Stelldichein mit den Russen. Doch wohl keine einzige.
Ergo: Die Papiere, die ihr Eichmann verschafft hatte, waren so nutzlos nicht. Irgendwie,
besonders in derart turbulenten Tagen, musste man sich schließlich ausweisen können.
Dazu war der Fetzen, ein Produkt aus der Fälscherwerkstatt der SS, allemal gut genug.
    Gut genug,
weil vermögend, war auch

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