Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)
von nichts gewusst haben wollten, unterzutauchen.
Apropos
›untertauchen‹ – darin war sie dem Beispiel des Mannes, der ihr dabei behilflich
gewesen war, gefolgt. Dazu war Eichmann, den sie am 6. April 1945 zum letzten Mal
zu Gesicht bekommen hatte, allemal gut gewesen. Damals schon ein mit allen Wassern
gewaschener Komödiant und Halunke, der seinesgleichen suchte. Bringt es doch tatsächlich
fertig, eine Rotkreuz-Delegation durch das Lager zu führen und zu betonen, wie gut
es sich unter Himmler und Konsorten dort leben ließ. Bringt es fertig, alle zum
Narren zu halten, indem er eine Art ›Muster-KZ‹ schuf. An der Tatsache, dass es
als Wartesaal des Todes gedient und Tausenden, Richtung Osten deportiert, zum Verhängnis
geworden war, hatte dies jedoch nichts geändert. Tauchte Eichmann auf, hatten alle,
das Personal mit eingeschlossen, volle Deckung genommen. Auch sie. Pech, dass sie
seine Aufmerksamkeit erregt hatte, wie so viele, die blond, drall und arisch gewesen
waren.
Auf die
Idee, Eichmann einen Korb zu geben, war sie dennoch nie gekommen. Sie hatte die
Gelegenheit beim Schopf ergriffen, um der Vorteile willen, die sich aus der Liaison
ergaben. Und sie hatte, dank ihrer Abgebrühtheit, nach Kräften davon profitiert,
unter anderem durch den gefälschten Pass, den er ihr besorgt hatte.
Die schlanke,
hinter einer Sonnenbrille verborgene und trotz ihrer 42 Jahre nach wie vor anziehende
Blondine mit den nachgezogenen Brauen, dem Bubi-Schnitt und dem Schönheitsfleck
auf der mit Rouge betupften Wange beendete ihre Lektüre und hielt Ausschau nach
dem Ober, um ihren Campari zu bezahlen. Dann nahm sie den Fünfmarkschein zur Hand
und entschied sich, vor dem Gehen noch einen Blick in ihren Handspiegel zu werfen.
›SS-Untersturmführer
Otto Eckmann‹ – zum Umfallen komisch, dachte sie beim Betrachten ihres Gesichts,
wenn es nicht so makaber gewesen wäre. Fast so makaber wie die Tatsache, dass man
ihr einen Pass aushändigte, der auf den Namen Helene Mertens ausgestellt war. Helene
war der Name ihrer Freundin gewesen, der besten, die sie jemals gehabt hatte. Bald
nach der Machtergreifung hatten sich ihre Wege getrennt, was Wunder, wenn die eine
Tochter eines Spitzenbeamten und die andere der Spross eines sozialdemokratischen
Parteifunktionärs war. Was aus Helene geworden war, wusste sie nicht, nur, dass
sie im Mai 1942 untergetaucht war. Anders als sie, die sie als Sekretärin bei der
SS angeheuert und somit auf der richtigen Seite gestanden hatte. Nun gut, ein paar
Skrupel hatte sie schon gehabt. Aber, getreu der Devise, dass jeder seines Glückes
Schmied ist, gottlob nicht allzu viele. Man musste zusehen, dass man auf der Seite
der Sieger stand. Oder clever genug sein, um ins Lager des Gegners zu wechseln,
wenn der Wind im Begriff war, sich zu drehen. Zeitlebens hatte sie versucht, diese
Maxime zu beherzigen. Und war gut damit gefahren, vor allem nach dem Krieg.
»Vielen
Dank, die Dame!« Der Ober und sie strahlten um die Wette. Er, weil er fast zwei
Mark Trinkgeld bekommen hatte, sie, weil es ihr Vergnügen bereitete, umgarnt zu
werden. Mal sehen, dachte sie, während sie ihre Zunge über die Oberlippe gleiten
ließ, vielleicht werde ich nachher wiederkommen und mir nach getaner Arbeit einen
Drink genehmigen. Und ein wenig herumflirten, nur zum Spaß. Männer hatten es nicht
anders verdient, als an der Nase herumgeführt und so lächerlich wie möglich gemacht
zu werden.
Ein Mannequin-Lächeln
im Gesicht, wandte sich die Unbekannte zum Gehen und stolzierte in Richtung Rezeption,
Blickfang von einem Dutzend Männern, die jeden ihrer Schritte verfolgten. Dort ließ
sie sich ein Taxi rufen und flirtete mit dem Empfangschef, um sich die Zeit bis
zum Aufbruch zu verkürzen.
Greta Garbo
war hier gewesen, Romy Schneider, Karajan – aber heute, am Tag der Wahrheit, würde
sich alles nur um sie drehen. Heute würde sie den Coup ihres Lebens landen, und
niemand, am allerwenigsten einer der Lackaffen, die ihr fortwährend auf den Hintern
starrten, würde sie davon abbringen. Heute war ihr Tag, der Tag, auf den sie seit
Jahren hingearbeitet hatte.
Knapp zehn
Minuten später und um etliche Komplimente reicher rauschte die Unbekannte ins Freie,
gefolgt vom Empfangschef, der es sich nicht nehmen ließ, ihr die Wagentür aufzuhalten.
Ein Lächeln, ein kleiner Scherz, und schon thronte sie auf dem Rücksitz, nannte
dem Fahrer ihr Ziel, steckte sich eine Benson & Hedges an und erweckte den Anschein,
als stehe
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