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Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)

Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)

Titel: Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klausner
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eines der Seen, die zu Onkel Erwins Ländereien
gehörten. Sydow konnte sich nicht erinnern, jemals so schnell gerannt, so erschrocken
und zugleich so wütend gewesen zu sein. Doch alles Rufen, alles Schreien und wildes
Gestikulieren hatte keinen Zweck gehabt. Als gäbe es ihn und die aus sämtlichen
Himmelsrichtungen herbeieilenden Bediensteten nicht, hatte Agnes sich nicht beirren
lassen, Anlauf genommen und war in den See gesprungen. Einfach so, ohne mit der
Wimper zu zucken. Gefolgt von ihrem Bruder, der alle Hände voll zu tun hatte, sie
aus dem Wasser zu ziehen.
    »Na, mein
Schatz – dabei, alte Erinnerungen aufzufrischen?«
    »Wenn man
so will – ja.« Ein Ölgemälde in der Hand, auf dem eine Pappelallee, ein Herrenhaus
nebst Wirtschaftsgebäuden und der angrenzende Schwanenteich zu sehen waren, trat
ein wehmütiges Lächeln auf Sydows Gesicht. »Schade, dass wir damals noch nicht …«
    »Damals
noch nicht, erst ein paar Jahre später!«, vollendete Lea mit einem Schmunzeln, das
zum gegenwärtigen Zeitpunkt genau richtig kam. »Die Jahre, in denen wir uns aus
den Augen verloren hatten, nicht mitgerechnet.«
    »Nein, die
natürlich nicht.« Sydow hängte das Bild wieder an seinen Platz, nahm den Kopf seiner
Frau zwischen die Hände und küsste sie auf die Stirn. Wie man mit Mitte 40 noch
so aussehen konnte wie sie, war ihm ein Rätsel, wobei er den Vergleich mit dem eigenen
Konterfei vermied. Lea wirkte mindestens zehn Jahre jünger als sie war, im Grunde
immer noch so wie Anfang der Dreißiger, als er ihr zum ersten Mal begegnet war.
Blondes, auf die Schultern herabfallendes Haar, bläulich schimmernde Augen und ein
Schmunzeln im sommersprossigen Gesicht. So hatte sie ausgesehen, als er ihr das
erste Mal über den Weg gelaufen war. Und so sah sie, dem Älterwerden zum Trotz,
immer noch aus. »Schwamm drüber, kann ich da nur sagen.«
    Ein Lippenbekenntnis,
wie nicht nur er, sondern auch Lea sehr wohl wusste. Die Dekade, während der das
Unheil über Berlin hereingebrochen war, die Zeit, in der Vater und er sich auseinandergelebt
hatten, die Nacht, während der er sich mit der Gestapo, der SS und so ziemlich jedem
angelegt hatte, der einen Schießprügel in der Hand halten und hinter ihm herballern
konnte. Er war einfach nicht imstande zu vergessen, die Erlebnisse hatten ihn geprägt,
verfolgten ihn bis heute.
    Und würden
ihn für den Rest seines Lebens verfolgen.
    »So, Tom
Sydow – Zeit, sich an die Arbeit zu machen.«
    Vor allem
die Erinnerung an jenen Sonntag im Juni 1942, als sein Leben komplett aus den Fugen
geraten war. Damals, mitten im Krieg, war er auf das Staatsgeheimnis schlechthin
gestoßen. Auf den ersten Blick hatte es sich nur um ein Besprechungsprotokoll gehandelt,
um eines unter vielen, die nach dem Krieg publik geworden waren. Bei näherem Hinsehen
war ihm die Tragweite dessen, was er nach England geschmuggelt hatte, jedoch mehr
als klar geworden. Ausgerechnet er, der 29-jährige, unerfahrene und anscheinend
grenzenlos naive Beamte der Kripo Berlin, war auf das Protokoll der Konferenz am
Großen Wannsee gestoßen, bei der unter dem Vorsitz eines gewissen Reinhard Heydrich [36] die Ausrottung von
elf Millionen Juden beschlossen worden war. Um es abzusegnen, hatten die 15 Teilnehmer,
darunter nicht weniger als sieben Akademiker, keine zwei Stunden gebraucht, insofern
es überhaupt etwas abzusegnen gab. Tonangebend war vor allem Heydrich gewesen, gefolgt
von seinem Adlatus, der ihm zum damaligen Zeitpunkt gänzlich unbekannt gewesen war.
Dank der Tatsache, dass Eichmann mittlerweile in aller Munde war, hatte sich dies
jedoch geändert. Nicht geändert respektive noch vergrößert hatte sich sein Unvermögen,
die ans Licht gekommenen Details zu begreifen. Damals wie heute war Sydow vor einem
Rätsel gestanden, sowohl emotional als auch rational. Wie konnte es sein, dass man
sich dazu hergab, Protokoll bei einer Konferenz zu führen, die darauf abzielte,
den gewaltsamen Tod von elf Millionen Menschen zu sanktionieren? Wie kam es, dass
keiner der Anwesenden einen Finger gerührt hatte? Und vor allem: Wie kam es, dass
Eichmann so lange unentdeckt geblieben war?
    »Sag mal,
hörst du mir überhaupt zu, Tom?«
    »Natürlich,
Lea, das weißt du doch.«
    »Thema Nummer
eins, hab ich recht?«
    Sydow deutete
ein Nicken an. Zwar fiel es ihm schwer, dies zuzugeben, aber wenn er zurückblickte,
war die Konfrontation mit der Vergangenheit für ihn beinahe zum Lebensinhalt geworden.
Manchmal, vor allem

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