Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)
zu verhüten, zu mehr hatte es jedoch nicht
gereicht. Der Heckenschütze war entkommen, wie vom Erdboden verschluckt.
Wer hinter
der Sache steckte, lag auf der Hand. Das Gleiche galt für das Tatmotiv. Morell,
so lautete offenbar die Devise, musste sterben, und das beinahe um jeden Preis.
Wenn nicht heute, dann in naher Zukunft, sobald sich die passende Gelegenheit bot.
So weit
würde er, Sydow, es jedoch nicht kommen lassen. »Sie sagen es, Herr Doktor«, beschied
er den Oberarzt, bevor er sich an die Adresse der nicht minder besorgten Oberschwester
wandte. »Ich beabsichtige, Herrn Morell unter Polizeischutz zu stellen«, sagte er,
und er sagte es so, dass sie nicht wagte, Einwände zu erheben. »Sie haben doch nichts
dagegen, oder?«
»Nein, Herr
Kommissar.«
»Sehr schön.
Dann werde ich das Präsidium bitten, ein paar Beamte herzuschicken. Damit wir uns
richtig verstehen, Schwester: Kein Besuch ohne meine ausdrückliche Zustimmung, es
sei denn, es handelt sich um Klinikpersonal. Noch irgendwelche Fragen?«
Knallrot
im Gesicht, öffnete die Angesprochene den Mund, schnappte nach Luft – und verneinte.
Ganz anders
der Oberarzt, welcher die Neugier, die ihn plagte, einfach nicht bezähmen konnte.
»Aber ich!«, verkündete er forsch, die Kladde in der rechten Hand. »Ich finde, als
Oberarzt habe ich ein Recht, über alles Bescheid zu …«
»Bei allem
Respekt für Ihre Fähigkeiten, Herr Doktor Brahms, aber das haben Sie nicht«, fuhr
ihm Sydow in die Parade, im Begriff, seinen Unmut an der falschen Stelle auszulassen.
Ein Grund, weshalb er in versöhnlichem Tonfall hinzufügte: »Damit wir uns richtig
verstehen: Mit den Herrschaften, welche es auf Herrn Morell abgesehen haben, ist
nicht …«
»Rosenzweig.«
»Wo Sie
recht haben, sollen Sie es auch behalten, Herr Doktor Brahms.« Ohne um Erlaubnis
zu fragen, nahm Sydow dem sichtlich überraschten Oberarzt die Kladde aus der Hand
und blätterte sie durch. »1,4 Promille Alkohol im Blut, Schulterdurchschuss, verursacht
durch 7,5 Millimeter-Projektil, Eintritt unmittelbar neben der Aorta, Wiederaustrittswunde
circa fünf Zentimeter vom Rand des Schulterblattes entfernt. Unverhältnismäßig hoher
Blutverlust, schmerzstillende Mittel, Kompressionsverband. Dauer des Eingriffs:
20 Minuten.« Auf Augenhöhe mit dem Oberarzt, dachte Sydow offenbar nicht daran,
die Akte zurückzugeben, klappte den Deckel zu und nahm sie in beide Hände. »Dennoch
muss ich Sie bitten, über alles, was während der letzten halben Stunde vorgefallen
ist, absolutes Stillschweigen zu bewahren. Tun Sie dies nicht, laufen Sie Gefahr,
zwischen die Fronten zu geraten.«
»Fronten?«
»Sie haben
richtig gehört, Herr Doktor. Wie gesagt: Mit den Herren, welche Ihrem Patienten
nach dem Leben trachten, ist nicht zu spaßen. Lassen Sie sich das gesagt sein. Weder
Sie noch die Kollegen, die in Kürze hier eintreffen werden, dürfen ihn auch nur
eine Sekunde aus den Augen lassen. Wenn etwas schiefgeht, werde ich Sie zur Verantwortung
ziehen. Haben wir uns verstanden, Herr Doktor Brahms?«
»Ich frage
mich, ob ich mir Ihren rüden Tonfall gefallen lassen muss.«
»Was meinen
Tonfall betrifft, Herr Oberarzt, bitte ich, diesen zu entschuldigen.«
»Und die
Krankenakte?«
»Beschlagnahmt.
Aus Sicherheitsgründen.« Um sich nicht sämtliche Sympathien zu verscherzen, lenkte
Sydow rasch ein und sagte: »Bitte, verstehen Sie mich nicht falsch, Herr Doktor.
Das hier hat nichts mit Ihrer Arbeit zu tun. Sie haben alles in Ihrer Macht Stehende
getan. Mein Freund Theo … äh … Herr Rosenzweig und ich wissen es wirklich zu schätzen.«
Sydows Blick suchte denjenigen des Patienten, doch der starrte nach wie vor an die
Wand. »Bitte, haben Sie Verständnis für meine Vorgehensweise. Tut mir leid, mehr
kann ich dazu nicht sagen.«
Fürs Erste
zufrieden, nickte der Leiter der chirurgischen Abteilung mit dem Kopf, bedeutete
der OP-Schwester, ihm zu folgen und begab sich zur Tür. »Fünf Minuten, Herr Kommissar,
nicht mehr!«
»Geht in
Ordnung«, antwortete Sydow, wartete, bis die Tür ins Schloss gefallen war und wandte
sich wieder dem Krankenlager zu. »Sag mal, was ist denn eigentlich mit dir los?«,
fuhr er Rosenzweig an, welcher an dem, was um ihn herum vorging, nicht das geringste
Interesse zeigte und auf den Monitor des Herzfrequenzmessers stierte. »Du brauchst
das Ding da nicht permanent anzustarren. Kopf hoch, alter Junge, du bist übern Berg!«
»Vorläufig.«
»Fang mir
ja nicht an,
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