Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)
Gewühl, neugierige Blicke ruhten. Agnes von
Sydow schien es nicht zu bemerken, sah weder nach rechts noch nach links und fand
Gefallen daran, wenn die Leute sie anstarrten und ihr instinktiv den Weg freigaben.
Das war fast immer so gewesen, ob auf der Straße oder, wichtiger noch, im übertragenen
Sinn. Hindernisse waren dazu da, um aus dem Weg geräumt zu werden, kein Mensch,
und sei er noch so gerissen, würde sie und ihre Helfershelfer aufhalten können.
Die Tage,
während denen man auf der Hut sein musste, waren vorüber, die Zeit der Versteckspiele
vorbei. Es galt, wieder etwas zu riskieren, Einfluss zu gewinnen, Boden gutzumachen.
Nur so würde es möglich sein, den Leuten die Augen zu öffnen und die Ideen, für
die der Führer gekämpft hatte, wiederaufleben zu lassen. Der Blick der blonden Circe
verklärte sich, und während sie die Fasanenstraße überquerte, trat ein Ausdruck
von Entschlossenheit in ihr Gesicht. Noch war es nicht zu spät, um das Vaterland
vom Joch der Alliierten zu befreien, noch war es möglich, seine Ehre wiederherzustellen.
Einzig und allein darauf kam es an, und was sie betraf, würde sie nichts unversucht
lassen, ihre Aufgabe zu erfüllen.
Zufrieden
mit sich, dem gelungenen Coup und den Aussichten, die sich dadurch eröffneten, wurde
die Frau in Schwarz von klammheimlicher Freude erfüllt. Auf Umwegen, die niemand
nachvollziehen konnte, würden weitere Millionen auf ihr Konto und von dort aus in
die Taschen diverser Handlanger fließen. Millionen, die kurz vor Kriegsende ins
Ausland transferiert und von Parteigenossen, auf die man sich verlassen konnte,
in Südamerika gewaschen worden waren.
Im Grunde
war alles kinderleicht gewesen: Ihr Mann, ahnungslos bis zuletzt, hatte seine Produkte
an argentinische Firmen verscherbelt. Mähdrescher, Traktoren, Sprinkleranlagen,
alles, was das Herz begehrte. Diese Firmen waren fest in deutscher Hand, entweder
weil ehemalige Kameraden Schlüsselpositionen bekleideten oder weil die zu Tausenden
zählende deutsche Kolonie reichlich Geld hineineingesteckt hatte. Wessen Geld, wollte
im Übrigen niemand wissen. Unter Peron, der ein Jahr nach dem Krieg an die Macht
gekommen war, konnte man das getrost riskieren. Der Präsident stand nicht gerade
im Ruf, deutschfeindlich zu sein, ja, es gab sogar Firmen, die eigens dazu gegründet
worden waren, um untergetauchte Kameraden zu beschäftigen. Von daher lag es nahe,
gerade in solche Betriebe zu investieren, zum einen, weil man mithalf, in Not geratene
Landsleute zu unterstützen, zum anderen, weil man die Besitzer vor den eigenen Karren
spannen wollte.
Genau das
hatte sie getan, ohne Wissen und Zustimmung ihres Mannes, der ihr nahezu blind vertraut
hatte. Es war ein Kinderspiel gewesen, in der Tat, leichter, als sie es sich je
hätte träumen lassen. Big Fitz, der einfältige Herr Gemahl, hatte geliefert, seine
Geschäftspartner hatten die Ware bezahlt, weiterverkauft und einen Teil des Gewinns
auf Schweizer Konten fließen lassen. Eine Hand wusch die andere, so war es dort
guter Brauch.
Das Beste
daran: Kein Mensch hatte Verdacht geschöpft, am allerwenigsten ihr Mann, der sich
eingebildet hatte, ein erfolgreicher Geschäftsmann zu sein. Dass sie es war, welche
die Fäden zog, war ihm verborgen geblieben, und sie hatte einen Teufel getan, ihm
die Illusion zu rauben. Wichtig war, dass Fitzpatrick & Sons expandierte, denn
nur so war es möglich gewesen, den südamerikanischen Partnern satte Gewinne zu bescheren.
Gewinne, welche die Konten von ODESSA [47] ,
ihres Auftraggebers, um etliche Millionen bereichert und es so gut wie unmöglich
gemacht hatten, die Spur der kurz vor Kriegsende ins Ausland transferierten Gelder
zu verfolgen, geschweige denn, ihrer habhaft zu werden.
Die Zeit
war gekommen, diese Gewinne zu investieren, am besten dort, wo man sich den größten
Nutzen versprach. Vergnügt wie selten, lachte Sydows Schwester auf. Wo anders wären
die Gelder besser aufgehoben als hier, in einem Land, dessen Wirtschaftsaufschwung
die Welt in Erstaunen versetzte? Dadurch konnte man gleich mehrere Fliegen mit einer
Klappe schlagen, wobei die Parole lautete, dass Rendite nicht alles war. Weitaus
wichtiger und, zumindest auf lange Sicht, erfolgversprechender war nämlich etwas
anderes. Mit jeder Million, die nach Berlin oder in den Satellitenstaat namens Bundesrepublik
floss, würde sich der Einfluss ihrer Organisation vergrößern. Risiko: gleich null.
So lange es Idioten wie diesen Brüggemann gab,
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