Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)
herrschte gähnende Leere.
Drauf und
dran, umzukehren, entsann sich Sydow der Zigarettenschachtel, die er immer noch
in der Hand hielt, und setzte sich auf eine Bank. So viel Zeit, um eine zu rauchen,
musste einfach sein, danach würde er zusehen, dass er nach Hause kam. Es war nicht
leicht, seine Mutter bei Laune zu halten, und ihm war klar, dass er Lea nicht einfach
hängen lassen durfte.
»Probleme,
Herr Kommissar?«
Die wohlverdiente
John Player im Mund, fuhr Sydow herum. Hinter ihm stand ein Mann, den er noch nie
gesehen hatte, die Rechte auf einem Stock und an die 60 Jahre alt. Irgendwie erinnerte
er ihn an seinen Vorgesetzten, Kriminalrat Kurt Augustin. Die Aussicht, ihm heute
Abend noch über den Weg zu laufen, versetzte in nicht gerade in Euphorie, sodass
der Blick, mit dem er den Spaziergänger musterte, denkbar grimmig ausfiel. »Kennen
wir uns?«
»Das nicht,
aber es wäre mir eine Freude, wenn wir dieses Manko wettmachen könnten«, erwiderte
der hochgewachsene, ergraute und mit einem Kaschmirmantel bekleidete Grandseigneur,
ein Typ, wie man ihm im Jachtklub oder bei einer Vernissage begegnete. »Sie haben
doch nichts dagegen, wenn ich mich setze, oder?«
Sydow trat
seine Fluppe aus und verneinte. »Tun Sie sich keinen Zwang an, ich muss ohnehin
gleich gehen.«
»Tatsächlich?
Wie schade.« Die Stimme des Fremden war freundlich, ja geradezu einnehmend, seine
Umgangsformen über jeden Zweifel erhaben und sein Äußeres gepflegt, um nicht zu
sagen nobel und elegant. Kein Grund also, ihm mit Misstrauen zu begegnen. Oder,
wie geschehen, ihn einfach abzuspeisen. »Ich hatte gehofft, wir würden ins Gespräch
kommen.«
»Ich wüsste
nicht, was es mit Ihnen zu besprechen gäbe!«, versetzte Sydow, Argwohn im Blick
und einen Moment lang unsicher, ob es nicht besser war, dem Drängen in seinem Inneren
nachzugeben und den Unbekannten einfach stehen zu lassen. Dass er es unterließ,
lag nicht etwa daran, dass er wild darauf war, Small Talk zu betreiben. Schuld daran
war einzig und allein sein Instinkt. Ein Ratgeber, auf den er sich stets verlassen
konnte. »Weder dienstlich noch privat.«
»Und was,
wenn das eine mit dem anderen zu tun hat?«, fragte der Unbekannte, umrundete die
Bank und zog ein Taschentuch hervor, um sie trocken zu reiben. Erst dann ließ er
sich darauf nieder, den Stock auf den Knien, an dessen Ende ein vergoldeter Knauf
angebracht war. Soweit man es in der hereinbrechenden Dämmerung erkennen konnte,
stellte dieser ein antikes Fabelwesen dar, welches, konnte Sydow allerdings nicht
sagen.
Der Fremde,
dem sein prüfender Blick nicht entgangen war, lächelte zufrieden vor sich hin. »Anubis,
der ägyptische Gott der Bestattungsriten«, erläuterte er, darauf bedacht, nicht
belehrend zu klingen oder seinen Nebenmann zu kompromittieren. »Dargestellt durch
einen Schakal.«
»Ein Aasfresser,
interessant.«
»Ich sehe,
Sie kennen sich aus, Herr Kommissar.«
»Und Sie
kennen mich. Darf man erfahren, woher?«
»Da fragen
Sie noch?«, rief der Unbekannte halb theatralisch, halb belustigt aus und ließ den
Zeigefinger über das Haupt des Gottes der Balsamierer gleiten. »Nur keine falsche
Bescheidenheit, Herr von Sydow: Wer so bekannt ist wie Sie, darf sich nicht wundern,
wenn er von wildfremden Leuten …«
»Falls Sie
mich weichklopfen wollen, vergessen Sie’s. Bei mir kommen Sie mit der Tour nicht
durch.«
»Sagen wir
mal so: Ich bin gekommen, um Ihnen ein Angebot zu unterbreiten. Ein Angebot, dem
man nicht widerstehen kann.«
»Auf gut
Deutsch: Sie sind vom LKA.«
»Falsch
geraten, Herr Kommissar.« Äußerlich unbewegt, starrte der Fremde auf den Wannsee
hinaus. Dort, inmitten der hin und her wogenden Wellen, kreuzte ein Segelboot vor
dem Wind. Dieser frischte immer mehr auf, und es dauerte nicht lange, bis das Boot
wie ein Spielball hin und her geworfen wurde. »Tja, so kann es gehen: Wer sich zu
viel zumutet, läuft Gefahr, unterzugehen.«
»Sagen Sie,
was Sie zu sagen haben«, fuhr Sydow den Unbekannten an und wandte den Blick nach
links. »Ich habe nicht vor, hier zu übernachten.«
»Ihr habt
Uhren, und wir die Zeit. Orientalische Spruchweisheit.«
»Falls Sie
es noch nicht gemerkt haben, wir befinden uns in Berlin.« Auge in Auge mit seinem
Nebenmann, war Sydow gezwungen, sein Urteil zu revidieren. Dies war kein netter
älterer Herr, der Blick, mit dem er ihn musterte, war Beweis genug. »Raus mit der
Sprache, weswegen sind Sie hier?«
»Ich bin
gekommen, um Ihnen eine
Weitere Kostenlose Bücher