Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)
nicht bemerkt hast, Schnüffler – Berlin besteht mittlerweile aus zwei Teilen.
Drüben die Roten und hüben der Vorposten der Freiheit und Demokratie.«
»Wozu der
Sarkasmus, Sydow? Nehmen Sie Vernunft an, dann lässt sich über alles reden.«
Sydow stieß
ein gallenbitteres Lachen aus. »Frage, du Meisterspion: Wie wollt ihr Pfeifen vom
BND es fertigbringen, Veronika aus Ostberlin rauszuholen? Etwa, indem ihr einen
Tunnel buddelt?« Sydow verstärkte seinen Griff. »›Vorsicht!‹, kann ich da nur sagen.
Die Stasi hat mittlerweile Erfahrungen gesammelt.«
»Schade,
dass ein so talentierter Beamter wie Sie so schlechte Manieren hat.«
»Meine Manieren
sind meine Angelegenheit!«, schnaubte Sydow und zog den Unbekannten zu sich heran.
»Und was die Genossen von der Staatssicherheit betrifft – denen könnt ihr ohnehin
nicht das Wasser reichen.«
»Sie würden
staunen, Herr Kommissar –«, japste der Grandseigneur, nach wie vor bemüht, Haltung
zu bewahren, »Sie würden staunen, welch exzellente Verbindungen wir nach drüben
pflegen. Schon gewusst, dass Ihre Stieftochter verhaftet worden ist?«
Völlig überrumpelt,
ließ Sydow von seinem Kontrahenten ab. »Was hast du gerade eben gesagt?«, keuchte
er, den Kopf schwer wie Blei und die Knie so weich, dass er instinktiv nach Halt
suchte. »Spuck’s aus, sonst …«
»Aber, aber,
Herr Kommissar – wer wird denn gleich die Fassung verlieren.« Als sei nichts geschehen,
zupfte der Unbekannte Schal und Mantel zurecht, bückte sich nach seinem Stock und
massierte das steife linke Bein, eine Reminiszenz an die Zeit bei der Waffen-SS,
als ihn die Kugel eines russischen Partisanen niedergestreckt hatte. »Ich will Ihnen
ja die Illusionen nicht rauben, aber was glauben Sie, wie viele ehemalige Kameraden
bei der Stasi zu Lohn und Brot gekommen sind! Mehr als Sie denken. Und mehr als
man im Westen und im SED-Politbüro vermutet.«
»Sie können
mich mal.«
»An Ihrer
Stelle wäre ich nicht so voreilig, Sydow.« Wieder der Alte, schlug der Fremde den
gewohnten Tonfall an und sagte: »Sie würden staunen, Herr Kommissar, wenn Sie wüssten,
wie weit unsere Verbindungen reichen. Ein Wort von mir, und Ihre Stieftochter kommt
frei. Vorschlag: Sie, Herr von Sydow, erklären sich bereit, mir die Karteikarte
auszuhändigen. Und ich werde dafür Sorge tragen, dass Ihre Stieftochter ausreisen
kann. Na, was sagen Sie dazu?«
»Und die
Gegenleistung? Sie glauben doch nicht im Ernst, dass die Genossen keine Bedingungen
stellen werden.«
»Zwei unlängst
enttarnte Stasi-Agenten für eine Frau, der keine schwerwiegenden Vergehen nachgewiesen
werden konnten – kein schlechter Tausch, finden Sie nicht auch?«
»Alle Achtung.
Das haben Sie schlau eingefädelt.« Sydow ließ sich wieder auf die Bank sinken, das
Kinn auf den verschränkten Händen und die Ellbogen auf den Knien. »Und Sie glauben,
ich bin so dumm und lasse mich auf den Kuhhandel ein?«
»Ich glaube
es nicht nur, Herr Kommissar, ich weiß es.«
Die Hand
auf der Brusttasche, in der das Objekt der Begierde verwahrt war, dachte Sydow fieberhaft
nach. Gedankenfetzen jagten ihm durch den Sinn, Erinnerungen an die Zeit, in denen
seine, Leas und Veronikas Welt noch in Ordnung war. »Hm.« Und an die Zeit, in denen
es zwar zwei Hälften von Berlin, aber noch keine Mauer gab. »Nicht etwa, dass ich
Ihnen nicht vertraue, aber …«
»Nichts
läge mir ferner, als so etwas zu vermuten!«
»Aber wie,
wenn die Frage erlaubt ist, soll das Ganze über die Bühne gehen?«
Der Fremde,
dem die Zufriedenheit ins Gesicht geschrieben stand, lachte kaum hörbar auf, warf
einen Blick auf die Uhr und tippte sich an die Krempe seines Huts, um den ein Band
aus silbergrauer Seide geschlungen war. »Das, Herr Kommissar, lassen Sie lieber
meine Sorge sein. Also: Punkt zehn am Grenzübergang Invalidenstraße. Und vergessen
Sie die Karteikarte nicht!«
20
Berlin-Wilmersdorf, Kolonie
Emser Platz │ 19:05 h
Es war ein hartes Stück Arbeit gewesen,
die Stationsschwester auf seine Seite zu bekommen. Rosenzweig hatte all seinen Charme
aufbieten, hatte schmeicheln, mit Engelszungen reden und den Plan, den er ausgeheckt
hatte, minutiös darlegen müssen. Ab durch die Hintertür, das machte ihm so schnell
keiner nach.
Er war wieder
sein eigener Herr, zumindest kam es ihm so vor. Er konnte gehen, wohin er wollte.
Tun, was ihm passte. Cognac trinken, wann immer ihm danach war. Nur eines konnte
er nicht mehr: ein unbeschwertes Leben
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