Eifel-Blues
Elsa. »Sie würde doch etwas sagen, wenn sie etwas weiß.«
»Vielleicht weiß sie etwas, wenn wir richtig fragen.«
Tania kam zurück und gab mir ein Foto, sechs mal neun, schwarzweiß. Marianne Rebeisen war auf den ersten Blick ein unscheinbares Blondchen. Auf den zweiten Blick kurzes, blondes Haar, ein gelangweiltes Gesicht ohne erkennbare Besonderheiten. Wenn man es allerdings länger betrachtete, hatte man den Wunsch, mit ihr zu sprechen, sie kennenzulernen, einfach zu fragen: Wer sind Sie eigentlich? Das Kinn war ausgeprägt, die Nase klein und gerade, dazwischen ein empfindsamer Mund, dessen Winkel leicht herabhingen. Die Augen waren groß und dunkel und sagten nichts.
»Ist die denn nie in Urlaub gefahren?« fragte ich.
»Nicht daß ich wüßte«, sagte Tania. »Kann sein, daß sie im Urlaub war, wenn ich im Winter in Mallorca Rentner abgestaubt habe. Aber das hätte sie mir gesagt.«
Elsa steckte das Foto in ihre Handtasche und murmelte: »Ich verstehe das nicht, Baumeister. Sie muß doch irgendwelche Anbindungen gehabt haben. Jeder Mensch hat Anbindungen an Menschen. Wie hat sie gearbeitet?«
»Montag bis Freitag Doppelschicht, etwas mehr, als die Gewerkschaft erlaubt. Samstag, Sonntag Pause.«
»Was war samstags, sonntags? Ging sie nie aus?«
Tania überlegte und wollte es genau machen. »Sie gehörte irgendwie nicht zu unserer Clique, und sie war auch nicht der Typ, der ausgeht. Ich meine, mal ins Kino oder mal Kolleginnen besuchen oder mal essen beim Griechen und so. Jetzt, wo ihr fragt, fällt mir das besonders auf. Freitag nachmittags verschwand sie und kam Montag morgens wieder. Jedes Wochenende, obwohl am Wochenende wegen des stillen Ficks, wie ich das nenne, manchmal der große Reibach ist. Wir haben sie aufgezogen, wir haben gesagt, sie hätte irgendwo einen Macker. Sie lachte nur. Einmal hat sie mir gesagt, sie ging in der Eifel wandern.«
»Da lachen wir aber gar nicht«, sagte ich. »Und das war an jedem Wochenende?«
»Ja.«
»Und du hast keine Ahnung, wo sie war, ich meine, wo in der Eifel? Und wen sie traf?«
»Null Ahnung. Die zwanzig Minuten sind übrigens um, also entweder oder.« Sie grinste sehr sympathisch.
Elsa sagte hastig: »Das reicht, das reicht.«
»Noch eine Nummer«, bestimmte ich. »Wie kam sie in die Eifel? Bundesbahn, Bus, Auto?«
»Weiß ich nicht, weiß ich wirklich nicht. Ein Auto hat sie nicht, das ist jedenfalls sicher. Sie packte so eine große pinkfarbene Reisetasche und huschte aus dem Haus. Sie ging immer rechts runter, dann links rein in die Merowinger Straße, dann war sie weg. Das habe ich x-mal aus dem Fenster gesehen. Also, wenn ich abgeholt werden sollte, würde ich an der Ampel an der Volksgartenstraße zusteigen.«
»Seit wann arbeitete sie hier im Haus?« fragte Elsa.
»Seit drei Jahren. Das weiß ich genau, weil ich ein Jahr hier war, als sie kam.«
Elsa starrte aus dem Fenster. »Und woher kam sie?«
»Tja, woher kam sie?« Sie griff unter ihr Röckchen und schob sich den Slip zurecht, der nicht mehr Volumen hatte als ein Bindfaden. »Irgendwoher vom Land – aus der Provinz sozusagen. Warte mal, ich hab's. Sie sagte, sie hätte viel mit Amis zu tun gehabt. Aus Bitburg.«
»Paß auf«, sagte ich, »ich will mir nicht den Vorwurf machen, dich beschissen zu haben. Wir haben dich belogen. Die Mari ist tot, sie wurde erschossen. In der Eifel.«
»Scheiße!« sagte sie mit grotesk schrägem Mund. »Ich hab so was geahnt.« Sie sah uns an und setzte schnell hinzu: »Nicht daß ich was gewußt hätte, so meine ich das nicht. Warum habt ihr mir das nicht gleich gesagt?« Da war ein sanfter Vorwurf.
»Wenn jemand hört, die ist tot, denkt er darüber nach und kann nicht mehr antworten«, sagte ich. »Kannst du dir vorstellen, daß die Mari zu irgendeinem Geheimdienst gehörte?«
»Wenn ich das so überlege, muß ich sagen, daß ich mir das gut vorstellen kann. Schon deswegen, weil wir ja alle nichts von ihr gewußt haben. Sieh mal, ich weiß alles von den anderen und nix von Mari. Und das ist doch komisch, oder? Und wenn gesoffen wurde, soff sie nicht mit. Und wenn wir mal ein bißchen Koks probiert haben, dann ohne sie. Und wenn wir mit den Mackern Quatsch machten, ging sie rüber in ihre Wohnung. Ja, Geheimdienst kann ich mir vorstellen.«
»Kann ich mir die Wohnung von ihr ansehen?« fragte Elsa. »Nur mal so.«
»Sicher«, murmelte Tania und verlangte keine Nummer dafür. »Der Alte hat mir den Zweitschlüssel gegeben, weil es sein
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