Eifel-Liebe
stille unaufdringliche Art. »Sie schrie mich an, dass ich auch zu den Frauen gehören würde, die immer nur dem Mann gehorchen. Auch dann, wenn er die Frau schlägt.«
»Und? Haben Sie Rolli etwas gesagt?«
»Nein, ich habe es nicht übers Herz gebracht. Aber eigentlich hätte ich es wirklich sofort tun müssen.«
»Rolli arbeitet noch immer bei Bliesheim. Warum?«
»Na ja, im Moment ist er ja krankgeschrieben … Wenn er kündigt, kriegt er so schnell keine neue Stelle. Das ist hier so.«
Ganz langsam schälte sich heraus, woher ihre Furcht rührte, und ganz langsam verstand ich diese Furcht besser.
»Sie haben Angst, weil Liebe heutzutage nicht mehr so einfach Liebe ist, nicht wahr?«
Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum und nickte schließlich. »Ja, das ist wohl so. Alles geht kaputt, weil alle immer alles haben wollen. Männer und Frauen. Als ich heiratete, war das ganz normal, dass man zum Ehemann gehörte und sich mit anderen Männern nicht einließ. Vielleicht war das auch ein bisschen eng. Aber wir trugen mehr Verantwortung für den anderen, wir wussten: Wenn wir zusammen versagen, werden wir schlecht dran sein. Sicher, Liebe gibt es nicht immer und ewig. Das kriegt man ja heute ständig gesagt und ich glaube, dass das auch so ist. Aber du kannst doch die Verantwortung für den anderen Menschen nicht einfach abstellen, wie einen nassen Regenschirm, das geht doch nicht.« Ihre Stimme wurde immer lauter und wütender.
»Und Ihre Enkelin setzt dem Ganzen die Krone auf?«
»Ja. Das ist doch unglaublich, was die getan hat! Und sie hat keine Ahnung, was sie sich da mit Bliesheim antut. Wenn der keine Lust mehr auf sie hat, wird er sich eine andere suchen. Das sind doch keine Liebesgeschichten heutzutage, das sind nichts als Affären. Und es geht immer nur um … um Sex!«
»Ja«, nickte ich. »Aber Frauen wollen auch ihre Freiheit. Und sie steht ihnen zu. Sie müssen doch zugeben, dass die Frauen in früheren Zeiten hier auf dem Land wie … na ja, wie Sklavinnen lebten.«
»Stimmt doch nicht!«, giftete sie. »Das stimmt überhaupt nicht. Ich war keine Sklavin. Mein Mann ließ mich zum Beispiel alle Geldsachen regeln. Er sagte: Du kannst das besser als ich. Und er hat auch gespült, wenn ich dazu mal keine Zeit hatte. Verdammte Hacke!«, fluchte Oma Ohler.
»Haben Sie denn mit Ihrem Mann eine wirkliche Liebesgeschichte erlebt?«
»Aber ja«, nickte sie und sah mich erstaunt an, als hätte ich sie auf einen nie gedachten Gedanken gebracht.
»Würden Sie mir die erzählen?«
Nun musste sie lächeln. »O je, das habe ich noch nie erzählt. Also, mein Mann wollte mich freien. Aber ich musste für ein Jahr bei den Nonnen im Krankenhaus in Koblenz in Stellung gehen und Koblenz war damals weit weg. Ich habe gedacht, ich müsste sterben, so weit von zu Hause weg. Fast hundert Kilometer sind das. Mein Mann kaufte sich ein Motorrad. Das war damals etwas ganz Seltenes. Das waren nicht so Glitzerdinger wie heute und eine Autobahn gab es auch nicht. Mit dem Ding fuhr er zum Krankenhaus nach Koblenz. Jeden Samstag. Aber er durfte nicht rein. Und ich nicht raus. Das war damals alles sehr streng. Er blieb mit dem Motorrad vor dem großen Eisentor stehen. Achtzig Meter davon entfernt begann der Wirtschaftstrakt des Krankenhauses. So konnte ich ihn für ein paar Minuten durch das Fenster sehen. Er winkte mir zu. Dann fuhr er wieder nach Hause. Er musste am nächsten Morgen um fünf Uhr im Stall zum Melken sein. Das ging ein volles Jahr so. Jeden Samstag. Er nannte mich sein Samstagsmädchen. Als ich nach einem Jahr wieder heimkam, haben wir geheiratet.« Wieder liefen Tränen über ihre Wangen, aber sie wirkte plötzlich glücklich.
»Das ist eine schöne Geschichte«, sagte ich.
Wir hörten die Haustür gehen, Oma Ohler atmete erschreckt ein.
»Ganz ruhig«, sagte ich leise und ärgerte mich, dass ich den Wagen genau vor dem Haus geparkt hatte.
»Guten Abend, Oma«, sagte Anna in der Tür. »Du hast Besuch?«
»Ja«, nickte Oma Ohler eisig und schnäuzte sich.
Anna war eine schlanke Frau, hübsch anzusehen. Ihr hellblondes Haar fiel lang auf ihre Schultern, ihr Gesicht war rundlich und weich. Sie trug Jeans und ein schwarzes T-Shirt mit der weißen Aufschrift Number one. Was an ihr besonders auffiel, war der Schmuck. An jedem Finger, inklusive den Daumen, trug sie goldene Ringe. Ihre Ohrklipps waren monströs und erinnerten an geschmacklosen Schmuck an einem Weihnachtsbaum. Um ihren
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