Eifel-Liebe
stand er irgendwo draußen und hatte viel Trubel um sich herum. »Ich brauche deine Aussage. Und weil du ein Mann des Wortes bist, möchte ich das alles sofort, dafür reicht aber schriftlich. Wie bist du nur von der Jagdhütte zu dem Dicken hier gekommen?«
»Zufall. Freier Fall. Das Glück des Doofen. Das Kokain ist euch durch die Lappen gegangen, nicht wahr?«
»Ja, wir kamen zu spät.«
»In meiner Weste findet ihr noch was. Ich habe sie Özcan gegeben. Übrigens kommt Rodenstock morgen zurück.«
»Das ist schön«, murmelte er erfreut, als sei Rodenstock Teil einer ersehnten Welt. Wahrscheinlich war das auch so.
Ich machte dann doch nichts mehr, bleierne Müdigkeit überfiel mich, ich ging ins Schlafzimmer und legte mich auf das Bett. Natürlich war mir Tante Anni gefolgt und sah mich erwartungsvoll an. Also erzählte ich alles, so gut ich es nach dem Durcheinander auf die Reihe bekam. Sie unterbrach mich nicht, nickte nur ein paarmal und ich registrierte nicht mehr, dass sie ging.
Um fünf Uhr morgens wurde ich wach, weil ich was Aufregendes geträumt hatte, an das ich mich natürlich nicht mehr erinnern konnte. Ich schlich hinunter in die Küche und setzte mir einen Kaffee auf. Es war einer dieser Morgen, an denen man aufwacht und das Hirn unvermittelt und scheinbar grundlos anfängt zu rasen. Ich nahm einen Zettel und schrieb systematisch auf, was ich noch abarbeiten wollte. Es war eine stattliche Liste.
Ein Protokoll für die Kripo. Der gleiche Text, allerdings etwas gekürzt, an die Redaktion in Hamburg. Gespräche mit: Gundula Pechter, Gernot Meyer, Rainer Bliesheim. Und noch mal mit der Verlobten von Kinsi, Beate Laach, um sie nach Kinsis Verschwinden zu befragen. Dann, was war mit der Behauptung des dicken Karl-Heinz, dass der Kaplan nackt mit Elvira Klein gebadet hatte? Wie ging es Markus Klinger eigentlich?
Ich hatte noch nicht die erste halbe Tasse Kaffee getrunken, als Tante Anni in der Küche erschien und verdrossen guten Morgen wünschte. Sie war schlecht gelaunt, knötterte herum und kippte eine Menge Kaffee neben ihren Becher. Als sie die Pfütze aufwischte, sagte sie drei- oder viermal: »Mist!«
»Warum schläfst du nicht länger? Du hast Ferien.«
»Immer wenn es mir schlecht geht, zieht sich mein Hirn in schöne Erinnerungen an Charlotte zurück. Und dann wird es grausam. Jedes Mal stirbt sie, sie stirbt mir immer unter den Händen weg. Scheußlich.«
»Erzähl mir von ihr. Wie war sie so?«
Tante Anni nahm ihren Kaffeebecher und setzte sich mir gegenüber. »Sie war die Liebe meines Lebens. Ach Gott, war das anfangs schwierig. Das waren ja noch ganz andere Zeiten. Lesben hatten keine Existenzberechtigung, Lesben waren etwas, über das man nicht reden durfte, weil es eklig war, verdorben, unnatürlich, wie die Kirchen sagten. Und wir waren beide auch noch Beamtinnen. Charlotte war Studienrätin. Eine gute Lehrerin, sehr beliebt. Du lieber Gott, du willst das doch jetzt gar nicht hören.«
»Doch, will ich.«
»Na, also, das begann an … wie so was immer beginnt. Ich hatte schon lange den Verdacht, mit Männern nichts anfangen zu können. Schon seit ich sechzehn war. Ich lernte Charlotte kennen, als ich beruflich an ihrem Gymnasium zu tun hatte, eine schwierige Untersuchung, die den Tod eines Lehrerkollegen betraf. Ach, du lieber Gott, es dauerte zwei Jahre, ehe wir uns eingestehen konnten, dass wir so waren, wie wir waren. Hör mal, langweilt dich das nicht?«
»Nein, nicht im Geringsten.«
»Nun, offiziell waren wir Freundinnen, aber natürlich haben die Leute viel über uns geredet. Dreißig Jahre haben wir zusammengelebt, dreißig Jahre, das muss man sich mal vorstellen. Ich hatte Vorgesetzte, die davon gehört hatten, die unbedingt wissen wollten, was da lief. Aber nie hat es jemand gewagt, mich zu fragen, ob ich Charlotte liebe. Ihr ging es genauso. Allerdings hat sich dann einer ihrer Kollegen darauf spezialisiert, Jagd auf uns zu machen. Er hat uns beobachtet. Er stand in seinem Auto vor dem Haus und fotografierte uns. Wenn wir ins Kino gingen, setzte er sich zwei Reihen hinter uns. Wir waren seine Obsession. Aber wir haben ihn erledigt und …«
»Wie, ihr habt ihn erledigt?«
Sie verzog den Mund und grinste. »Behutsam, wir sind sehr behutsam vorgegangen. Seine Frau bekam ein anonymes Schreiben, dass sie sich nicht wundern sollte, wenn ihr Mann oft außer Haus sei. Er habe eine Geliebte.« Jetzt kicherte Tante Anni. »Seine Frau muss ein Ekel
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