Eifel-Müll
Gelassenheit wirkte wie die einer Puppe, die etwas auswendig gelernt hat.
»Dein Chef hat dich also zunächst einmal aus der Schusslinie genommen. Das ist doch positiv, oder?«
»Mein Chef ist nicht mein Problem. Mein Problem bin ich. Ich wollte diesen Mann überführen, ich wollte es mit aller Macht. Aber wie ich auf die Schnapsidee gekommen bin, den bei mir schlafen zu lassen, werde ich nicht einmal als Großmutter verstehen.«
»Vielleicht bist du karrieregeil...?«
»Ach, Scheiße, nein. Ich bin einsam. Karrieregeil? Ja, vielleicht schon. Ich bin nach Mainz zum Landeskriminalamt gegangen, weil ich dort mehr lernen kann. Was ich nicht bedacht habe, ist die Tatsache, dass ich eigentlich nicht dazu geboren wurde, ausschließlich und allein für meine Karriere zu leben. Das macht mich auf die Dauer kaputt. Und jetzt weiß ich nicht weiter.«
»Für wie lange bist du beurlaubt?«
»Unbefristet. In der Vereinbarung zwischen mir und dem Amt heißt es, dass ich vorläufig bei voller Bezahlung mindestens sechs Monate aussetze.«
»Dann würde ich die Zeit nutzen.«
»Wozu denn, Baumeister?«, fragte Vera verbittert.
»Um zu erfahren, was du eigentlich willst. Um dich umzugucken, um neue Möglichkeiten zu überdenken.«
»Ich bin Kriminalbeamtin. Ich kann nichts anderes.«
»Das klingt sehr überzeugend, ist aber kalter Kaffee. Du solltest die Zeit nutzen, dich selbst kennen zu lernen. Ja, ich weiß, ich habe leicht reden, ich stecke nicht in deiner Haut. Aber versuch doch mal, es als Chance zu sehen. Wie hieß das in den Siebzigern? Die Krise als Chance. Ich hole dir noch einen Schnaps.«
Sie lächelte matt. »Bring gleich die ganze Flasche mit. Mit so viel Freizeit komme ich nicht klar. Ach du lieber Gott, ich darf ja nicht mal saufen, ich muss ja noch zurück.«
»Musst du nicht.«
»Aber das Auto ...«
»Das Auto ist doch scheißegal.«
Als ich zurück in den Garten kam, hatte Cisco auf ihrem Schoß Platz genommen und leckte begeistert ihre Hand.
»Erzähl mir von deinen zwei Leichen«, forderte Vera und begann augenblicklich mit der Bekämpfung ihrer Krise, indem sie ein halbes Wasserglas Williamsbirne in Angriff nahm.
Ich fasste mich kurz, weil es noch nicht viel zu berichten gab und ihre Aufmerksamkeit rapide abnahm. So gegen elf in der Nacht war es so weit, dass sie Begriffe wie psychologische Struktur‹ kaum mehr nuscheln konnte.
»Ich bringe dich ins Bett«, entschied ich.
»Das ist aber schön!«, kicherte sie.
Doch mein Handy störte und die hohe heisere Stimme sagte fröhlich: »Haben Sie gewusst, dass die tote Natalie seit mindestens einem Jahr zwischen den geldgierigen Müll-Fritzen hin- und hergeschoben wurde? Und wussten Sie, dass Natalies Mutter ihre Tochter auch reichen Tattergreisen angeboten hat? Und dass es in der Jagdhütte von Hardbeck manchmal ziemlich wild zugeht?« Die Stimme lachte und das klang irre. »Haben Sie schon mal was vom Grafen von Monte Christo gehört? Nein? Sollten Sie aber.«
Dann war die Leitung wieder tot.
ZWEITES KAPITEL
Ich richtete Vera das Bett im Dachgeschoss, zog ihr die Sandalen von den Füßen und beruhigte sie mit dem intelligenten Satz: »Nun schlaf dich aus, und wenn du einen Kater hast, gibt es zur Belohnung Aspirin.«
Sie war jetzt in einem Stadium, in dem sie sich nicht zwischen Heulen und Lachen entscheiden konnte. Sie fabrizierte eine groteske Mischung aus beidem. Mit Erstaunen nahm sie wahr, dass sie ihre Sandalen nicht mehr anhatte, und zog daraus den Schluss, dass es angeraten sei, sich gänzlich auszuziehen. Ich mühte mich nicht damit ab, ihr das auszureden.
Bei dem Versuch, aus der selbstverständlich viel zu engen Jeans herauszukommen, fiel sie zweimal steif wie ein Zinnsoldat um und lachte sich krank über die Tatsache, dass sich ihr Körper steuerlos dem Williams-Christ-Rausch und der Schwerkraft hingab. Sie trug ein winziges rotes Bikiniunterteil, das selbstverständlich mitsamt der Jeans ins Bett fiel. Als sie entdeckte, dass sie hüllenlos war, kicherte sie im Falsett: »Endlich frei!« Ihren Humor besaß sie also noch.
Sie legte sich sogar freiwillig hin, wenngleich sie Schwierigkeiten hatte, mit dem Kopf das Kissen zu treffen. Sie gurgelte und hauchte: »O Gott, das wackelt alles so!« Aber ehe sie wieder aufstehen konnte, schlief sie ein und ich deckte sie zu.
Ich legte eine CD von Christian Willisohn auf und schwelgte in meinem Arbeitszimmer in Blues und Boogie. Mich beschäftigte die Frage: Wer steckte hinter der hohen
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