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Eifel-Träume

Eifel-Träume

Titel: Eifel-Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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Mädchen Schmutziges angetan hat?«, fragte ich.
    Sie reagierte zunächst überhaupt nicht, dann legte sie beide Hände vor das Gesicht.
    »Was ist denn?«, fragte Rainer sie beunruhigt.
    »Mein Bruder«, sagte sie mit hoher Stimme. »Drei Jahre lang. Es war mein Bruder. Und ich konnte mich nicht wehren. Und meine Mutter meinte, ich solle nicht so ein Theater machen.«
    Nach einer Weile sagte ich: »Es ist, glaube ich, besser, wenn ihr jetzt heimfahrt.«
    Rainer nahm sein Frau an den Schultern und zog sie in seine Arme. »Eli«, sagte er sanft. »Eli, komm, es geht nach Hause.«
    Draußen hatte es sich abgekühlt. Als die beiden weg waren, setzte ich mich auf die Terrasse, starrte in die Dunkelheit und hörte zu, wie die Tropfen von den Bäumen fielen.
    Der Motor von Veras kleinem Opel tuckerte durch die Nacht. Das Auto passierte die Kurve vor meinem Haus und verschwand hinter der Kirche. Vera brachte Tante Anni nach Hause und wahrscheinlich fuhr sie, obwohl sie ein wenig betrunken war. Nach fünf Minuten war der Motor erneut zu hören. Der Kleinwagen rollte auf meinen Hof. Die Türen schlugen zu und Clarissa sagte glucksend: »Wir wollen Väterchen nicht stören.« Es folgte das übliche Gefummel mit dem Hausschlüssel.
    Ich rührte mich nicht. Ich wollte unentdeckt bleiben, ich wollte ein wenig nachdenken. Aber ich hatte keine Chance.
    Nach ein paar Minuten kam Vera auf die Terrasse. »Ich gehe gleich wieder. Ich habe nur deine Tochter gebracht.«
    »Du kannst hier schlafen, wenn du magst. Das ist kein Problem.«
    »Das ganze Dorf hat kein Licht«, sagte sie. »Willst du eine Kerze?«
    »Ja, hol uns eine. Das mit dem Licht dauert erfahrungsgemäß ein paar Stunden. Es hat mächtig reingehauen.«
    Sie verschwand und kehrte kurz darauf mit einem Kerzenständer zurück.
    »Im Wohnzimmer steht Wein.«
    »Keinen Wein mehr.« Sie setzte sich auf einen Stuhl, kramte in den Taschen ihrer Jeansjacke und förderte Zigaretten zu Tage. Sie zündete sich eine an. »Als ich abgehauen bin, habe ich die Gewissheit aufs Spiel gesetzt, zu Hause zu sein. Ich habe gar nicht mehr gewusst, wie sich das anfühlt.«
    »Das kann man reparieren«, entgegnete ich träge. »Du wirst wieder Menschen finden, unter denen du zu Hause sein möchtest.«
    Im gleichen Moment wusste ich, dass ich sie schwer gekränkt hatte. Ich hatte sie gewissermaßen des Landes verwiesen, ich hatte gesagt: Irgendwo wirst du zu Hause sein, nur nicht hier.
    Ihr ganzer Körper schnellte vor, leichthin murmelte sie:
    »Ich fahre zurück nach Heyroth.«
    »Ich wollte nicht schroff sein«, versuchte ich zu erklären.
    »Ich wollte nur sagen, es liegt an dir, irgendwo vor Anker zu gehen. Du wählst den Platz aus, niemand kann dir dabei helfen.«
    »Nein, nein, ich habe das schon verstanden.« Sie wirkte hastig und wäre offensichtlich am liebsten geflohen.
    »Das hast du nicht«, widersprach ich. »Sieh mal, du kommst hierher, weil es dir dreckig geht, weil du nicht mehr weißt, wo du zu Hause bist. Das ist schmerzhaft, ich weiß das aus eigener Erfahrung. Aber du musst diese Schmerzen akzeptieren, du musst dir einen neuen Platz suchen. Und wenn du dann entscheidest, dass es die Eifel sein soll, bist du herzlich willkommen.« Das wirkte elend gekünstelt, das war reine Schwafelei, das war niemals das, was sie hören wollte. Lieber Himmel, Baumeister, du wirst es nie lernen!
    »Hast du einen Schnaps für mich?« Veras Stimme klang immer noch gleichgültig.
    »Aber sicher«, sagte ich, »einen Moment.« Ich holte ihr ein Glas und goss es voll mit Birnenschnaps.
    »Ich will gar nicht hierher zurück«, erklärte sie nach dem ersten Schluck. »Ich weiß, ich habe dir sehr wehgetan.«
    »Menschen leben mit ihrer Erinnerung«, sagte ich. »Das kann ich nicht ändern, das ist so. Aber ich will jetzt nicht darüber sprechen. Der Mord an Annegret hat so viel aufgewirbelt, so viel Schlimmes gezeigt, schweigende Familien, kaputte Ehen, das Verharren in quälenden Zuständen. So viel Tod. Das nimmt mich mit. Ich kann dir in dieser Nacht keine Hilfe sein, fürchte ich.«
    »Hast du denn inzwischen zumindest eine Ahnung, wer es war?«
    »Nein, immer noch nicht. Eben war die Mutter der Kleinen da. Sie ist als Kind missbraucht worden und hat ihr ganzes Leben lang darüber geschwiegen. Das macht nachdenklich.«
    »Weißt du, ich hatte dich ganz anders in Erinnerung. Viel zielgenauer. Ist das das richtige Wort? Ja, ist es. Und positiver. Ein bisschen großer Junge, ein bisschen: Was kostet

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