Eifel-Träume
stand Vera in der Tür und fragte:
»Darf ich mich an dich anlehnen?«
»Ich würde gern deine Haut atmen«, antwortete ich. In diesen Sekunden war ich endlich glücklich, Glück ist wohl immer nur eine Frage von Sekunden. Ich möchte ein Sekundenfänger sein, dachte ich.
Der Wecker schrillte um neun, Vera lag neben mir und schlief noch tief. Ich bewegte mich vorsichtig, um sie nicht zu wecken, und schlich mich aus dem Zimmer. Im Bad summte Clarissa.
Also ging ich hinunter und setzte eine Kanne Kaffee auf. Während ich ein Stück trockenes Brot aß, dachte ich über das nach, was ich mir für heute vorgenommen hatte. Ich wollte mich an einen Jungen heranrobben, der möglicherweise etwas erzählen konnte. Cisco kam, Satchmo kam, ich stellte ihnen Futter hin. Satchmo hatte am linken Ohr eine klaffende Wunde.
»Hast du wieder die Konkurrenz vertrimmen wollen und dir selbst was eingefangen?«
Satchmo antwortete nicht, auf solche Fragen reagiert er grundsätzlich mit Verachtung.
Um halb zehn griff ich das Telefon.
Mit gelassener Stimme meldete sich ein Mann: »Salm.«
»Sie sind sicher der Vater vom Gerd«, sagte ich.
»Ja«, antwortete er.
»Mein Name ist Siggi Baumeister, ich bin Journalist und lebe in Dreis-Brück. Ich recherchiere die schlimme Geschichte mit der Annegret. Und ich habe erfahren, dass Ihr Sohn Gerd ein Freund der Annegret gewesen ist. Daher möchte ich Sie bitten, mir zu gestatten, mit Ihrem Sohn zu reden.«
Er antwortete erst nach vielen Sekunden. »Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Sehen Sie, die Zeitungen und Magazine und das Fernsehen haben einen derartigen Scheiß zusammengetragen, dass wir alle unser Hildenstein nicht mehr wiedererkennen. Was die Presse sich da zusammenlügt, geht auf keine Kuhhaut. Ich habe Gerd gesagt, er soll niemals irgendwelche Fragen beantworten.«
»Sie können dabei sein, wenn ich mit ihm spreche. Und für den Fall, dass ich etwas schreibe, werde ich Ihnen den Text vorlegen. Ich weiß, was meine Kollegen abgesondert haben, und ich weiß auch, dass das nicht das Gelbe vom Ei gewesen ist.«
»Es war eine Katastrophe«, stellte er kühl fest. »Sie leben in der Eifel?«
»Ja, nur ein paar Kilometer von Ihnen entfernt. Seit vielen Jahren schon.« Der Hinweis auf eine Spur von Tradition hilft in der Eifel so gut wie immer, anscheinend auch dieses Mal.
»Wann soll das Gespräch denn stattfinden?«
»Am besten gleich.«
»Hm, na gut. Dann kommen Sie her.«
Ich lief in mein Schlafzimmer und zog mir an, was mir gerade in die Hände fiel. Dabei passierte, was mir öfter passiert: Der Socken links war dunkelblau, der rechts schwarz. Ich entschied, dass das einen gewissen Chic hatte, und startete in den Tag.
Das Haus der Salms lag an einem Hang, der nach Süden ausgerichtet war. Es war ziemlich groß mit einem Garten, in dem vieles blühte. Vor der Garage standen zwei Mittelklasseautos, zwei Mopeds und ein schweres Motorrad. Das alles verströmte Gelassenheit, wirkte nicht protzig, sondern roch eher ein wenig nach den praktischen Dingen im Leben.
Ich schellte.
Der Mann, der mir öffnete, sagte nicht Guten Tag oder willkommen, sondern fragte: »Kaffee oder sonst was?«
»Kaffee. Das wäre gut.«
»Gerd! Kaffee!«, brüllte der Mann in das Haus. »Kommen Sie rein.«
Ich ging hinter ihm her durch einen breit angelegten Flur in ein großes Wohnzimmer.
»Setzen Sie sich!« Er deutete auf einen schweren Esstisch von beachtlichen Ausmaßen, um den acht Stühle gruppiert waren.
Er sah mich an und fragte: »Sie werden ihn aber nicht schocken? Oder ihn durch Tricks etwas sagen lassen, was er nicht sagen will?«
»Das verspreche ich.«
»Sonst würde ich eingreifen«, stellte er sachlich fest. Er hatte Hände wie ein Berufscatcher.
»Keine Sorge.«
»Und meine Frau will auch dazukommen. Sie sagt, sie kennt Sie.«
Die Frau entpuppte sich als eine blonde Walküre, fast so breit wie hoch. Ihr Gesicht hatte etwas Strahlendes.
Sie reichte mir die Hand und sagte: »Herr Baumeister, wir kennen uns aus dem Golfclub. Da helfe ich manchmal beim Servieren.«
Ich war leicht irritiert, weil ich mit Golf nun gar nichts zu tun habe. Immerhin hatte ich im Clubhaus ein paarmal gegessen. »Freut mich«, sagte ich.
Sie setzte sich neben ihren Mann und blieb beim Lächeln.
Dann erschien Gerd mit einer Kanne Kaffee.
»Das ist unser Sohn Gerd. Das ist Herr Blaumeiser.«
»Baumeister«, korrigierte ich grinsend. »Macht nichts. Grüß dich, Gerd.«
»Hallo«, sagte
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