Eifel-Träume
die Welt? Mehr Biss, mehr Witz.«
»Das ist wohl vorübergehend abhanden gekommen.«
Das Festnetztelefon klingelte. Ich lief ins Haus.
»Nur zur Vervollständigung deiner Unterlagen«, sagte Kischkewitz trocken. »Retterath ist mit seinem schönen BMW auf der B 410 in der Kurve zwischen Kelberg und Gerolstein geradeaus gefahren. Er kam von Kelberg und ist in der Serpentine bei der Einfahrt nach Brück, also quasi bei dir nebenan, mit Vollgas geradeaus geschossen. Guck es dir an!«
»Ich dachte, ihr hättet ihn kassiert?«
»Nein, es bestand keine Fluchtgefahr. Er hat zugegeben, in der Nacht bei Mauren gewesen zu sein, aber an Einzelheiten konnte er sich angeblich nicht mehr erinnern. Beweisen konnten wir ihm den Mord also noch nicht. Kommst du?«
»Selbstverständlich.«
»Ach ja, fahr besser erst gar nicht zur B 410 hoch, bleib auf der schmalen Straße zwischen Brück und Dreis. Da unten liegt er.«
»Was ist los?«, fragte Vera.
»Schwerer Unfall beziehungsweise Selbstmord. Ein Mann namens Retterath hat sich getötet. Nur ein paar hundert Meter von hier.«
»Kann ich mitfahren?«
»Aber ja.«
Ich ließ den Wagen langsam rollen, bis wir die Stelle vor uns hatten. Die Rettungswagen waren schon wieder abgezogen. Zwei Streifenwagen unter Blaulicht, Kischkewitz’ Mercedes und der Wagen eines Beerdigungsunternehmers standen da sowie drei, vier Pkw von Neugierigen.
Kischkewitz sagte gerade scharf: »Ich will unter allen Umständen eine Obduktion.«
Jemand antwortete: »Okay, Chef.«
Wir gingen zu ihm hin.
In einem bitteren Tonfall sagte er zu uns: »Ich frage mich, was noch alles passiert. Das hier sieht so aus, als habe er es gewollt. Mein Fachmann sagt, Retterath muss mit etwa einhundertachtzig auf die Betonsperren in der Linkskurve der Serpentine aufgeprallt sein. So eine Betonsperre wiegt anderthalb Tonnen. Der Wagen hat sie schräg getroffen und ausgehebelt. Anschließend ist der BMW zwischen den beiden Bäumen da oben durchgesegelt und zwölf Meter tiefer hier auf dem Asphalt gelandet. Retterath selbst muss nach Ansicht des Experten beim Aufprall herausgeschleudert worden sein. Er ist da gegen die Stirnwand der alten Scheune geknallt, gute dreißig, vierzig Meter von da oben. Aber da muss er längst tot gewesen sein. Nun liegt er dort unter der Plane. Beziehungsweise das, was wir aufgesammelt haben. Vielleicht war es Panik, vielleicht Absicht, ich weiß es nicht. Herrgott, dieser Fall nimmt kein Ende.« Er nahm Vera wahr und sagte: »Schön, dich zu sehen.«
»Hast du einen Job für mich?«, fragte sie lächelnd.
Einen Moment wirkte er irritiert, dann grinste er. »Lass uns darüber sprechen, wenn ich ausgeschlafen habe.«
»Darf ich ein paar Fotos machen?«, fragte ich aus reiner Pflichtübung.
»Kein Problem.« Er nickte mit dem Kopf in Richtung auf das, was von Retterath übrig geblieben war. »Wir haben die Ehefrau benachrichtigt. Es war furchtbar. Sie öffnet uns die Tür und ist grün und blau geschlagen und kann kaum laufen. Er hat sich betrunken und sie quer durch das Haus geprügelt. Anschließend hat er sich die Tochter vorgenommen und die Glasscheibe der Haustür zerdeppert. Dann ist er in sein Auto gestiegen und durch die Eifel geheizt. Als mein Mitarbeiter sagte: Ihr Mann ist leider tödlich verunglückt, da guckte ihn die Frau nur leicht erstaunt an und erwiderte: Hat er es endlich geschafft? Retterath muss vollkommen verrückt gewesen sein.«
»Und? Hat er Gustav Mauren definitiv umgebracht?«
»Davon bin ich überzeugt. Und das Ganze hat mit dem Fall Annegret nichts zu tun.«
Ich fotografierte das Wrack, bei dem nicht mehr unterschieden werden konnte, was vorne und was hinten gewesen war. Der Vollständigkeit halber knipste ich auch die Plane, unter der Retteraths sterbliche Reste verborgen lagen.
Unter gelb wischendem Licht kam ein Laster um die Kurve.
»Der holt das Wrack«, erklärte Kischkewitz.
Wir verabschiedeten uns. Es war drei Uhr, der Himmel war wieder klar, Sterne funkelten. Ich dachte, dass die Art seines Todes zu Retterath gepasst hatte: mit Pauken und Trompeten in die Ewigkeit.
»Kann ich mich auf dein Sofa hauen?«, fragte Vera, als wir wieder auf meinem Hof standen. »Ich möchte Emma jetzt nicht mehr stören.«
»Klar. Du warst hier zu Hause, du bist hier zu Hause.«
»Das klingt schon besser«, sagte sie hell. »Ich mache auch das Frühstück.«
Auf dem Weg zum Bett streifte ich meine Kleidung ab und legte mich auf den Rücken.
Wenige Sekunden später
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