Eifel-Träume
Aber dieser tote Toni Burscheid wird von den Medien gefrühstückt werden, du kannst dir kaum vorstellen, was meine Kollegen aus diesem Selbstmord machen werden. Nun meine Frage: Warum bist du hier? Was willst du von mir?«
»Ich will einfach mit jemandem reden … Ob du Journalist bist oder nicht, ist mir egal. Mein Mädchen ist getötet worden, Toni hat sich aufgehängt. Ich erlebe … , ich erlebe, wie alles kaputtgeht. Da entsteht ein Strudel, Leute sterben, die eigentlich leben sollten. Toni war es nicht, Baumeister. Und ich kann diese ganze … , dieses ganze Unglück nicht mit ansehen, ohne mit irgendwem darüber zu reden.«
»Du hast auch Angst, nicht wahr?«
»Na, klar habe ich Angst. Da bleibt doch kein Stein auf dem anderen, da wird gelogen, dass sich die Balken biegen, das nimmt doch alles kein Ende. Ich erlebe jeden neuen Tag wie den, als mein Kind verschwand.«
»Willst du ein Bier, einen Wein oder was anderes?«
»Ein Wein wäre gut.«
»Weiß? Rot?«
»Rot, bitte.«
Ich ging in die Küche, öffnete einen trockenen Roten aus Spanien und brachte Darscheid die Flasche und ein Glas auf die Terrasse. »Wie kommst du zu der Behauptung, dass gelogen wird, dass sich die Balken biegen?«
»Na, was die Polizei aus den Aussagen macht, das kann ich nicht beeinflussen. Aber die Kinder, die am Donnerstag zusammen mit Annegret von der Schule nach Hause gingen, sind ja befragt worden. Deren Eltern natürlich auch. Zu den Kindern gehört auch Kevin, Kevin Schmitz. Der Vater besitzt eine Riesenfirma, baut Vulkansand und Asche ab. Richtig viel Kohle. Und die Mutter hat gegenüber der Polizei angegeben, dass ihr Sohn Kevin wie an jedem Donnerstag pünktlich um 12.45 Uhr zu Hause war. Das mag stimmen, aber die Mutter selbst war um diese Zeit gar nicht zu Hause. Die Mutter lag um diese Zeit mit ihrem Liebhaber hinter einer privaten Blockhütte oben im Stadtwald.«
»Woher weißt du das?«
»Ich habe es gesehen.«
»Wie kommst du donnerstagmittags in den Wald?«
»Ich arbeite für eine Baufirma. Wir haben Fichtenstämme bestellt. Die liegen da und mussten vermessen werden.«
»Und woher weißt du, was die Mutter der Polizei gesagt hat?«
»Das habe ich einem Gespräch zweier Kriminalbeamter entnommen, die nicht wussten, dass ich hinter der Ecke stand und zuhören musste, ob ich wollte oder nicht.«
»Was ist denn dieser Kevin für ein Junge?«
»Ein ganz Sanfter, ein Lieber, der dauernd rot wird und verlegen ist. Und der ständig von seinem Vater gemaßregelt wird. Der würde den Jungen am liebsten sofort zur Bundeswehr schicken, damit er mal lernt, wo der Hammer hängt. Das hat er wörtlich so in einer Kneipe gesagt.«
»Noch mehr Lügen?«
»Aber ja. Ein anderer Junge heißt Gerd Salm. Der ist schon fünfzehn und hatte am Donnerstag eine Stunde eher frei als Annegret und ihre Klasse. Aber er wartete, bis Annegret rauskam. Das hat er öfter gemacht, ich nehme an, er war in Annegret verliebt oder so. Er behauptete, er sei am Donnerstag zusammen mit den anderen bis zur Hauptkreuzung in Hildenstein gegangen. Dort habe er sich von der Gruppe getrennt und sei nach Hause marschiert. Und das ist gelogen, obwohl die Mutter Stein und Bein geschworen hat, dass der Junge pünktlich eingetroffen ist. Ist er nicht, konnte er gar nicht. Der Junge hat was mit einer jungen Russin, die mit ihren Eltern aus Kasachstan gekommen ist. Die beiden waren am Uhlenhorst, haben da in der Sonne gelegen. Das war gegen vierzehn Uhr.«
»Und woher, zum Teufel, weißt du das?«
Er hob den Kopf und murmelte: »Das ist schon alles irgendwie merkwürdig … Während ich nach den Fichten guckte, war ein Kollege in Sachen Buchen unterwegs. Der ist an den beiden vorbeigegangen. Abstand zwei Meter, Irrtum unmöglich. Er hat die beiden freundlich gegrüßt.«
»Na, klasse«, murmelte ich. Mir fiel nichts Kluges ein.
»Wäre es nicht besser, damit zur Polizei zu gehen?«
»Ich tue das nicht«, sagte er heftig und drehte sein Gesicht ab.
»Dann gebe ich es weiter«, sagte ich. »Hast du was dagegen?«
»Mach, was du willst.«
»Du hast Angst, dass deine Ehe zerbricht, nicht wahr?«
»Ja, das auch. Nein, das war ja schon vorher der Fall. Da ist nichts mehr zu retten. Meine Frau hat jahrelang eine Idylle gepflegt, eine Fassade aufrechterhalten. Alles war schön und harmonisch. Und wenn mal etwas nicht harmonisch war, dann wurde so lange geredet und gedrechselt, bis die Harmonie wieder stimmte. Mir kommt das schon lange verlogen vor, doch
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