Eifel-Träume
bis jetzt habe ich nichts dagegen unternommen.« Er sah mich an, aber er sah mich nicht. »Ich habe gelernt, diese Idylle zu hassen.«
»Du musst aufpassen, dass du dich nicht selbst vergisst. Das kann verheerende Folgen haben.«
Er nickte, presste die Lippen aufeinander und begann zu weinen. Er konnte sich gar nicht mehr beruhigen und ich ging in die Küche, um mir frischen Kaffee einzugießen.
Er hatte Recht. Das Geschehen um Annegret war wie eine Explosion und sicher waren Leute von Auswirkungen betroffen, an die noch niemand dachte.
Als ich zurück auf die Terrasse ging, blickte er mich mit geröteten Augen an und wollte wissen: »Hat der Täter Annegret eigentlich missbraucht? Richtig? Darüber wird uns Eltern nichts gesagt.«
»Nein, hat er nicht. Aber das darfst du wirklich keinem sagen. Auch nicht deiner Frau. Denn diese Information hält die Polizei noch unter Verschluss.«
»Ich schweige«, versprach er.
»Dann habe ich zum Abschluss noch eine Frage. Wie weit war Annegret? Hatte sie schon ihre Tage?«
»Ja, seit fast einem Jahr. Meine Frau redete nicht darüber, für meine Frau ist das ein ›Frauengeheimnis‹. Wenn Annegret ihre Tage hatte und Bauchschmerzen bekam, wurde so lange um das Frauengeheimnis drum herumgeredet, bis alles wieder stimmte. Dann hatte Annegret zwar immer noch Bauchschmerzen und ich habe ihr heimlich etwas aus der Apotheke besorgt, aber die Harmonie war wieder hergestellt. Annegret wollte diese Scheißharmonie gar nicht und ging selbst ganz offen mit dem Thema um.«
Wenig später verabschiedete er sich und lief mit hängenden Schultern zu seinem Wagen. Ich konnte nichts für ihn tun, er musste seinen Weg allein suchen, und das würde mit Sicherheit schmerzvoll sein.
Ich rief Rodenstock an, um ihn darüber zu informieren, dass Kevin Schmitz’ Mutter ebenso die Unwahrheit gesagt hatte wie die Mutter von Gerd Salm.
»Das ist gut zu wissen. Kischkewitz ist ja hier, ich sage ihm Bescheid. Willst du nicht noch für eine Stunde rüberkommen? Deine Tochter ist hier und Vera auch. Das könnte doch recht entspannend werden. Ich finde deine Tochter übrigens großartig.«
»Danke. Ich möchte lieber zu Hause bleiben. Du hast doch noch einen Schlüssel von mir. Gib den bitte Clarissa, dann kann sie kommen und gehen, wie sie will. Noch etwas: Weißt du eigentlich, wie die Frau heißt, die von schwarzen Messen und Kinderopfern und Missbrauch in Hildenstein erzählt hat?«
»Moment, ich frag mal. Aber eins muss dir klar sein: An so etwas ist doch nie was dran, solche Geschichten kommen doch immer in Umlauf, wenn ein Verbrechen nur ein bisschen mysteriös scheint.«
»Das weiß ich. Aber ich will Stimmungen einfangen, deshalb brauche ich den Namen.«
»Ja, Sekunde.« Es waren irgendwelche Geräusche zu vernehmen, dann war Rodenstock wieder da. »Die Frau heißt Gertrud Olschowski. Sie wohnt in dem Weiler Gantesdorf, Hauptstraße 12.« Er nannte mir sogar die Telefonnummer.
»Danke.«
Ich setzte mich wieder auf die Terrasse und sah die Nacht kommen. Nach einer Weile gesellte sich Cisco zu mir in den Garten und streckte sich zu meinen Füßen aus. Wenig später schnarchte er sanft und japste dann und wann leise und aufgeregt. Wahrscheinlich jagte er gerade erfolgreich einen sibirischen Tiger.
Wen konnte ich außer dieser Gertrud Olschowski noch befragen?
Kischkewitz durfte mir aus nahe liegenden Gründen niemals sein gesamtes Wissen zur Verfügung stellen. Journalisten hatten gegenüber Kriminalbeamten gewisse Vorteile, weil sie auf die genaue Einhaltung einiger Rechtsvorschriften keine Rücksicht zu nehmen brauchten. Aber in diesem Fall schien der Vorteil Makulatur, denn ich kannte sonst niemanden, der mir auf direktem Weg weiterhelfen konnte. Ich konnte also mit dem Vorteil der direkten, rücksichtslosen journalistischen Fragen nichts anfangen.
Machte es Sinn, Rainer Darscheids Frau zu befragen? Ja, eindeutig, denn wahrscheinlich war sie der Mensch, der die Freizeitvorlieben ihrer Tochter am besten kannte.
Machte es Sinn, sich an die Kinder heranzumachen, die die tote Annegret auf dem letzten Schulweg nach Hause begleitet hatten? Das konnte sein, aber es widerstrebte mir, Kinder in etwas hineinzuziehen, was sie nicht übersehen konnten und was für ihre Seelen mit Sicherheit nicht gut war.
Machte es Sinn, die Lehrerin der Klasse zu befragen?
Machte es Sinn, sich auf die beiden Mütter zu konzentrieren, die die Kriminalbeamten belogen hatten? Das konnte den Hauch eines
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