Eifel-Träume
eine war, mich von euch zu trennen, der zweite war, mich zu töten. Aber bekanntlich kam alles anders.«
»Du hast aufgehört zu trinken«, stellte sie fest. »Und dann bist du hierher in die Eifel gegangen.«
»Du bemühst einen Zeitraffer. Aber so ungefähr war das.«
»Auch ich habe dir nicht geglaubt, dass du nicht mehr trinkst«, sagte sie leise.
»Ich weiß. Aber mach dir keine Vorwürfe.«
Sie starrte aus dem Fenster und knabberte noch immer an ihrem Brotstück. »Und du gehst nicht hin und rufst Mami an, wenn du mal in München bist?«
»Nein. Ich habe keine Veranlassung, das zu tun, kein Gefühl, das dafür spricht.«
»Wie ist denn dein Gefühl zu mir?«
»Du bist meine Tochter, du siehst verdammt gut aus, ich bin stolz auf dich und lerne dich langsam kennen. Und ich habe nicht die Spur von schlechtem Gewissen.«
»Du bist ziemlich hart«, murmelte sie.
»So wird man.«
Nach einer Weile meinte sie: »Wir beide haben kaum gemeinsame Erinnerungen.«
»Das ist wahr. Aber das können wir ab jetzt ändern. Wann immer dir etwas unklar ist, frag mich einfach. Und jetzt brauche ich dringend eine Pause.«
Ich stand auf und ging hinaus. Das Thema hatte mich schlimmer gepackt, als ich es wahrhaben wollte. Ich spazierte zu meinem Plastikstuhl am Teich, setzte mich und betrachtete meine Fische, die gänzlich ungerührt vom Lärm der Menschen ihre Kreise zogen und mit Sicherheit nicht nach Schuld und Sühne fragten. Ich sehnte mich plötzlich nach Vera. Es wäre gut gewesen, sie hier zu haben und mit ihr über mein unbekanntes Leben sprechen zu können.
Eine Feuerschwanzlibelle setzte sich neben mir auf die Rispe des Wilden Reises, wippte auf und nieder, flog dann weiter. Satchmo kam heran, maunzte und sprang auf meinen Schoß.
»Manchmal ist ein Vorleben verdammt schwer. Es wäre schön, wenn ich es für immer in eine Schublade stecken könnte«, sagte ich.
Die jungen Amseln unter meinem Dach unternahmen aufgeregt Flugversuche. Mama saß hoch oben in der Birke und forderte sie auf, gefälligst die Flügel auszubreiten.
Ich rief Rodenstock an und fragte, ob er bereit sei, gemeinsam mit mir den Fall Annegret zu analysieren. Er antwortete, das sei eine gute Idee.
Clarissa stand in der Küche und wollte das kaum benutzte Geschirr abspülen. Sie sagte: »Ich werde gleich Tante Anni besuchen.«
»Grüß sie schön und sage, ich käme demnächst auch vorbei.«
Dann fuhr ich rüber nach Heyroth und Cisco starrte beleidigt hinter mir her, gänzlich fassungslos, dass ich Schweinehund schon wieder ohne ihn davonbrauste.
Rodenstock saß mit Emma auf der Bank vor dem Haus und merkwürdigerweise tranken sie Sekt.
»Hat jemand Geburtstag?«
»Nein, uns war einfach danach«, sagte Emma.
»Was ich wichtig finde«, begann Rodenstock unvermittelt, »ist die Einstellung der Kinder zum Schulweg. Er ist sehr schnell zu einer Selbstverständlichkeit geworden, auf die sie nicht mehr achteten. Ob also Annegret über die Straße nach Hause ging oder den Weg über die Hinterhöfe der Altstadt wählte, interessierte nicht.«
»Richtig«, sagte ich. »Und weil Annegret ja zu Hause ankam, aufschloss, die Schultasche im Haus ließ und wieder ging, ist ihr Weg nach Hause wurscht.«
Eine Weile herrschte Nachdenken.
»Das ist falsch«, stellte Emma dann fest. »Das Mädchen muss einen Grund gehabt haben, nach Hause zu gehen und postwendend wieder zu verschwinden. Auf dieser Straße durch die Siedlung hätte sie möglicherweise ganz andere Leute getroffen als auf dem Weg über die Hinterhöfe. Es ist also von immenser Wichtigkeit, welchen Weg sie nahm.«
»Aber die Mutter hockte bei einer Freundin in der gleichen Straße. Das heißt, sie hätte ihre Tochter vorbeilaufen sehen müssen. Das hat sie aber nicht.« Rodenstock probierte den Sekt und verzog leicht angewidert den Mund.
»Einspruch«, sagte ich. »Die Mutter hat gleich mehrfach gelogen. Ich glaube der Frau nichts mehr. Annegret kann durchaus an dem Haus vorbeigekommen sein, ohne dass die Mutter das mitkriegte. Weil die Mutter mit der Freundin über irgendein spannendes Thema sprach und nicht auf die Straße achtete. Hast du dir das mal angeguckt? Den Weg zwischen den Häusern hindurch?«
»Klar«, nickte Rodenstock. »Wie ich schon sagte, typische Eifler Verhältnisse, die Folge verheerender Erbgeschichten. Die Grundstücke wurden geteilt, geviertelt, geachtelt. Die Stadtverwaltung hat stets darauf geachtet, dass uralte Wegerechte und Zugänge von hinten auf die
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