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Eifel-Träume

Eifel-Träume

Titel: Eifel-Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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hat mir geglaubt. Es war sogar noch viel extremer. Ich war schon vier oder fünf Jahre trocken, als ich einen Haschischring auf Ibiza auffliegen ließ. Davon berichtete ich meinem Bruder. Er rief daraufhin unseren Vater an und sagte: Der Siggi säuft wieder. Als die Geschichte dann gedruckt erschien, war es zu spät. Denn mein Vater glaubte tatsächlich, ich saufe wieder. Wie auch alle anderen im Umkreis. Doch kein Mensch hat mich angerufen und sich bei mir direkt erkundigt. Trocken hätte ich wahrscheinlich nicht in ihr Bild gepasst, das war unbequem. Besoffen war ich entschieden bequemer, weil keiner seine Einstellung zu mir überprüfen musste. Auch deshalb bin ich geflüchtet. Die meisten Süchtigen müssen diese Erfahrung machen.«
    Sie brach sich ein Stück Brot ab und knabberte daran.
    »Und hast du nicht manchmal Lust, wieder mit dem Trinken anzufangen?«
    Ich lachte. »O ja, an heißen Sommertagen, wenn alle in einem Biergarten hocken und ein Pils zischen, bin ich richtig neidisch. Glaub aber nun ja nicht an den trockenen Alkoholiker, der seine Familie um Entschuldigung bittet. So einer bin ich nicht. Im Gegenteil, ich habe Familie gründlich satt, ich habe die Schnauze voll.«
    »So ganz versteh ich die Reaktion der Familie ja nicht. Ich meine, die müssen doch erlebt haben, dass du dich verändert hast.«
    »Natürlich. Aber die Vorurteile waren stärker. Ein Beispiel: Sechs oder sieben Jahre nach meinem Trockenwerden besuchte ich meinen Vater. Wir wollten spazieren gehen und er wollte sich seinen Mantel aus dem Schrank holen. Konnte er aber nicht so einfach, denn dieser Schrank war abgeschlossen. Der Schrank war deshalb abgeschlossen, weil da drin sämtliche Alkoholika standen, die im Haus vorhanden waren … Wehgetan hat vor allem, dass niemand mit mir darüber redete. So kam es zu dem, was ich als Schnauze-voll-Gefühl bezeichne. Irgendein kluger Mensch hat einmal gesagt: Wo steht geschrieben, dass du deine Familie lieben und ehren musst?«
    »Und jetzt sind Rodenstock und Emma, Anni und Vera deine Familie?«
    »So ist es und ich liebe sie.«
    »Was wäre passiert, wenn ich nicht gekommen wäre?«
    »Nichts, Mädchen, absolut nichts. Du warst immer eine Verwundung auf meiner Seele, etwas, was nicht wirklich heilte. Aber passiert wäre nichts, denn ich sage mir: Wer etwas mit mir zu tun haben will, muss aus eigenem Antrieb kommen. Ich weine auch deiner Mutter nicht nach, obwohl wir gute Jahre hatten. Das ist Teil meines Lebens, aber es ist vorbei.«
    »Warum hast du sie eigentlich betrogen?«
    »War es wirklich Betrug? Es gab Frauen, die mir ansahen, wie beschissen es mir ging. Die waren dann einfach da und ich teilte mit ihnen Bett und Tisch.«
    »Darüber habt Mami und du auch nie gesprochen?«
    »Stimmt.«
    »Aber warum nicht?«
    »Gegenfrage: Wem hätte das genutzt? Verlassen hätte sie mich in jedem Fall. Außerdem hätte sie es postwendend verdrängt. Deine Mutter war allzeit eine großartige Verdrängerin. Ich erinnere dich an ihre Migräne.«
    »Aber so schlimm litt sie doch gar nicht darunter.«
    Ich starrte Clarissa verblüfft an und wusste in der gleichen Sekunde, was da abgelaufen war. »Hat sie gesagt, dass die Migräne nicht so schlimm war?«
    »Ja, klar.« Ihre Augen waren ganz schmal geworden, weil sie wahrscheinlich ahnte, dass es jetzt knüppeldick kommen würde.
    »Clarissa, wir nähern uns einem gefährlichen Punkt. Und ich denke, es ist an der Zeit, Schluss zu machen. Sonst schreist du mich an, ich schreie dich an. Und dann willst du zurück nach München.«
    »Ich schreie nicht«, sagte sie gelassen. »Und ich haue auch nicht so einfach ab. Was war mit der Migräne von Mami?«
    »Sie war tablettensüchtig. Wahrscheinlich war sie jahrelang viel süchtiger als dein Vater, der als Alki verschrien war. Wir sind tatsächlich beide untergegangen.«
    »Tablettensüchtig?«
    »Ja. Ein starkes, hochbrisantes Kopfschmerzmittel, das es nur auf Rezept gab. Deine Mutter brauchte dieses Mittel, wenn sie ihre Migräne bekämpfen wollte. Ich kannte im Süden Münchens einen Apotheker, der mir gegen Bares alles verscheuerte, was immer ich haben wollte. Wir wohnten damals außerhalb der Stadt, gut sechzig Kilometer entfernt. Weißt du das nicht mehr – immer wenn ich zu diesem Apotheker fuhr, wolltest du unbedingt mitfahren. Und wir kamen nach Hause wie Sieger, denn Mami bekam ihre Pillen. Doch irgendwann habe ich begriffen, wie tief deine Mutter in der Sucht hing, und zwei Entschlüsse gefasst. Der

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