Eifel-Träume
Volksmund: Wer hat Annegret getötet?«
»Das weiß doch keiner, obwohl viele so tun, als wüssten sie mehr. Wichtigtuer, die immer alles besser wissen. Zuletzt hörte ich sogar das Gerücht, dass die Putzfrau von der Familie Schmitz hinter allem steckt. Das wird doch immer lächerlicher, oder? Wahrscheinlich nur, weil sie eine Russin ist.«
»Wie kommen Leute auf die Idee, eine russische Putzfrau könnte mit dem Mord etwas zu tun haben?«
Die Frau blinzelte unsicher. »Die Geschichte geht so, dass die Russen eigentlich als Erpresser auftreten wollten. Annegret gegen Lösegeld. Weil: Russen sind arm dran, Russen haben kein Geld, Russen sind geil auf Geld.«
»Aha. Wissen Sie, wie die Putzfrau heißt?«
»Ich kenne nur den Vornamen. Sie soll Olga heißen und nur zwanzig Worte deutsch können. Die wohnt hier um die Ecke rum an der Straße nach Üxheim.«
Da Baumeister schon mal in der Gegend war, nahm er die zwei Kurven und stand dann vor einigen Gebäuden, in denen die sozial Schwachen untergebracht waren, wie es im Beamtendeutsch so schön harmlos heißt.
Die Namen auf den Klingelschildern bildeten eine Mischung aus dem Vorderen Orient, Weißrussland und dem arabischen Raum. Ich wusste aber nur Olga. Daher schellte ich die erstbeste Familie an, bekam Einlass und erkundigte mich, wo Olga wohne. Die alte Frau, die freundlich wirkte, deutete mit dem Daumen nach oben und antwortete: »Zweites Etage, ganz einfach, ganz links. Kannst du sehen.«
»Danke«, sagte ich und marschierte die Treppe hinauf. Der Familienname war etwas, was ich nicht aussprechen konnte, also sagte ich in das Gesicht eines etwa vierzigjährigen, misstrauisch wirkenden Mannes, der mir öffnete: »Ist Olga da?«
»Ja«, nickte er. »Komm mit.«
Er ging vor mir her in ein Wohnzimmer, das sehr einfach eingerichtet war, mit Möbeln, die nicht mehr als funktionell waren. Alles wirkte düster, braun und streng. Auf einer Anrichte war so etwas wie ein Altar aufgebaut. Eine Gipsmadonna in lichtblauem Gewand wurde umrahmt von einer Unmenge an Schleifen aus Plastikband: rot, grellgrün, violett.
Ich bekam das Sofa angewiesen und setzte mich.
Der Mann fragte scheu: »Amt?«
»Nein, nein«, entgegnete ich hastig. »Nicht vom Amt. Ich bin Journalist. Ich schreibe für ein Magazin. Privat, nicht Amt.« Es ist erstaunlich, wie schnell man sich auf ein gebrochenes Deutsch einstellt, wie schnell man die eigene Sprache verkinscht.
»Und Olga? Soll kommen?«
»Ja, bitte«, nickte ich. Und weil ich wusste, dass Pfeifenraucher Gelassenheit und vor allem Gemütlichkeit ausstrahlen, fragte ich: »Darf ich rauchen?«
»O ja, o ja«, sagte er lächelnd, kramte in einem Schrank herum und stellte einen Plastikaschenbecher vor mich hin. Anschließend verschwand er für eine Weile und kehrte in Begleitung einer Frau zurück, die an Masse doppelt so viel aufbrachte wie er und deren Gesicht vor Aufregung und Eifer glänzte. Sie gab mir sehr förmlich die Hand und vollbrachte erstaunlicherweise so etwas wie einen Knicks.
»Mein Name ist Siggi«, sagte ich. »Sie arbeiten für die Familie Schmitz, habe ich gehört.«
»Ja. Manchmal«, antwortete sie etwas distanziert. »Sie kommen, sie sagen: Olga muss helfen. Dann komme ich.«
»Wie viel verdienen Sie denn bei Schmitz?«
Die beiden sahen sich schnell an, es war zu spüren, dass sie im Lügen absolut unprofessionell waren.
»Kein Geld«, sagte die Frau. »Nur Arbeit für Essen. Kein Geld.«
»Nie Geld«, echote ihr Mann. »Wir dürfen nicht arbeiten für Geld. Wir müssen warten auf Amt. Bis Amt sagt: Ihr dürft arbeiten.«
Ich entschied mich für Rücksichtslosigkeit. »Das glaube ich nicht«, sagte ich und schaute beide freundlich an. »Herbert Schmitz erzählte mir, dass er für die Arbeit zahlt.« Es war ein dämlicher Bluff, aber er funktionierte.
»Ja«, gab sie zu. »Aber nur wenige Euro.«
»Wie viele denn?«
»Drei Euro die Stunde. Nicht mehr.«
Wahrscheinlich stimmte das. Irgendjemand hatte einmal bemerkt, Deutschrussen seien die Gruppe der am meisten Ausgenutzten.
»Mir geht es um den Donnerstag«, erklärte ich. »Um den Tag, an dem die kleine Annegret getötet worden ist.«
»Mord«, sagte sie schnell. Es klang wie »Morrtth«.
»Ja, Mord. Sie waren an dem Tag bei Schmitz?«
»Ja. Aber nichts gesehen, nichts gehört, ich arbeiten.«
»Kevin kam aus der Schule«, half ich.
»Ja, kam zu Hause«, bestätigte sie. Sie machte den Eindruck, als wisse sie, was kommen würde. Und als habe sie
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