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Eifel-Träume

Eifel-Träume

Titel: Eifel-Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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nicht weiter. Wenn Annegret mit anderen Kindern hier war, brauchte sie nur aus dem Schatten der Bäume hinunter auf dein Haus zu blicken. Sie konnte sehen, wer kam und wer ging. Sie war erreichbar, denn sie hatte doch bestimmt ein Handy. Streng genommen konnte sie ihr Elternhaus kontrollieren. Aber ich gehe jede Wette ein, dass es auch die umgekehrte Spur gibt. Damit meine ich, dass deine Frau nur aus dem Haus zu treten brauchte, um Annegret zu signalisieren, sie solle nach Hause kommen. Oder sie brauchte gar nicht aus dem Haus zu treten, sie konnte da oben eines der Fenster am Giebel öffnen. Was ist hinter den Fenstern?«
    »Da ist unser Schlafzimmer«, sagte er tonlos.
    »Weißt du, da entstehen doch Rituale. Annegret guckt von Zeit zu Zeit hinunter auf euer Haus. Dann wird das Schlafzimmerfenster aufgemacht und Annegret weiß, dass sie nach Hause kommen muss. Zum Abendessen zum Beispiel. Weiß du nichts von solchen Ritualen?«
    »Nein«, er schüttelte den Kopf. »Weißt du, mein Job ist hart und ein Achtstundentag eine Erholung. Ich komme nach Hause, bin fertig, starre in den Fernseher, kriege aber nichts mit und manchmal schlafe ich sofort ein. Na klar, die beiden hatten eine besondere Art, miteinander umzugehen. Manchmal habe ich gedacht, sie benutzen bei ihren Unterhaltungen eine Art Code. Wahrscheinlich ist das immer so zwischen Mutter und Tochter.«
    »Als ihr Annegret am Donnerstag vermisst und in der Nachbarschaft und bei den Eltern von Freundinnen und Freunden herumgefragt habt, was hat da deine Frau getan?«
    Er starrte mich verwundert an. »Sie hat das getan, was ich auch getan habe. Sie ist zu den Nachbarn, sie hat rumtelefoniert, sie wurde immer hysterischer. Wie ich selbst.«
    »Aber sie ist nicht zum Busch hochgelaufen?«
    »Nein«, sagte er.
    Ich ließ das stehen, ich ließ es wirken und mir war klar, dass ich ihm wehtat. Denn er würde plötzlich begreifen, er würde in das Begreifen hineingestoßen wie in einen grundlosen Sumpf.
    Er drehte den Kopf zu mir, seine Augen waren weit geöffnet und sahen eigentlich nichts. »Oh, mein Gott!« Dann ließ er sich auf den Rücken sinken, legte beide Hände über sein Gesicht und begann lautlos zu weinen.
    Ich ließ ihn in Ruhe und fluchte still über meine Hilflosigkeit. Links von mir stieg eine Lerche hoch und jubilierte über den Sommer, ein winziger Punkt reiner Musik.
    Darscheid wischte sich über die Augen und zündete sich eine Zigarette an. »Du glaubst, sie hat etwas geahnt?«
    »Ich weiß nicht, was ich glauben soll«, antwortete ich.
    »Aber wir hätten Annegret eigentlich sofort finden müssen. Das meinst du doch, das steckt dahinter, oder?«
    »Ja, möglicherweise. Das ist jetzt aber eigentlich egal, wichtig ist, dass deine Frau aus dem Schock auftaucht und dass sie zu verstehen beginnt, was geschehen ist.«
    Er nickte. Langsam rappelte er sich hoch und lief den Hang hinunter. Er ging unsicher wie ein Träumer.
    Ich rief Kischkewitz an und störte ihn offensichtlich, denn er stöhnte: »Nicht schon wieder.«
    »Hat Pitter Göden dich angerufen?«
    »Er sitzt mir gegenüber. Wir müssen die ganze Szenerie überdenken und neu ordnen.«
    »Als du vom geheimen Leben der Kinder gesprochen hast, da hast du das gemeint, was der alte Pitter erzählt?«
    »Genau. Ich ahnte die ganze Zeit, dass wir irgendetwas falsch machen, aber ich hätte dir nicht sagen können, was. Nicht nur die Mütter wissen viel mehr, als sie sagen oder ihnen überhaupt bewusst ist, mit den Kindern verhält es sich ganz genauso. Nur wissen wir viel zu wenig über die Kinder. Wem sollen wir was für Fragen stellen? Ganz abgesehen davon, dass wir kaum an die Kinder rankommen. Da sind Eltern und Psychologen vor. Aber es gibt Leute wie diesen Pitter Göden, denen die Kinder intuitiv trauen. Diese Leute müssen suchen.«
    »Weißt du sonst was Neues? Was ist mit dem Mord an Mauren?«
    »Das kann nicht mehr lange dauern. Ich habe Retterath verhaften lassen, um Schmitz weich zu kochen. Das Übliche.«
    »Danke. Wir sehen uns.«
    Ich stand auf, spazierte hangabwärts und die Straße entlang bis zu meinem Auto. Die Sonne stand steil und ich schwitzte. Der Wolkenberg von heute Morgen hatte sich verzogen.
    Ich fuhr zur Tankstelle in Hildenstein, um zu tanken. Die Frau hinter der Kasse kannte ich sicher seit zehn Jahren und sie bemerkte freundlich: »Im Moment haben Sie ja genug zu tun.«
    »Das kann man so sagen«, nickte ich und stopfte das Kleingeld in die Jeans. »Was spricht denn der

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