Eifler Zorn
Vertrauen, schleichst
dich in meine Fabrik ein und schädigst Menschen und Maschinen.« Er stellt sich
auf die Zehen und wippt in kurzen Abständen vor und zurück. »Du kannst gehen.
Dein letzter Lohn wird einbehalten, um die Schäden zu beheben.« Er wendet sich
ab und geht auf sein Büro zu, wobei er weder Paul noch den Aufseher eines
Blickes würdigt. Für ihn ist die Angelegenheit erledigt.
»Aber es
stimmt nicht!« Paul kann sich nicht mehr zurückhalten. Wenn er ohne Lohn
entlassen wird, müssen sie die nächsten Tage hungern. Er sollte heute
Kartoffeln und Linsen kaufen, sein Lohn ist für den Vorrat an Lebensmitteln
gedacht. Es muss ihm gelingen, den Fabrikanten zu überzeugen. »Die Pappe am
Schwungrad sollte die Arbeiter schützen. Wenn an dem Rad so eine Pappe gewesen
wäre, wäre der Unfall nicht passiert!« Paul atmet schwer.
Er weiß,
dass er nichts ausgerichtet hat, als der Mann sich umdreht und ihn für einen
Moment stumm ansieht, bevor er lospoltert: »In meinem Haus bin immer noch ich
der Herr. Wer und was verbessert wird, bestimme ich, und ich lasse mir von
keinem Dahergelaufenen das Handwerk erklären oder mich sogar erpressen. Das
schreib dir hinter die Ohren!«
***
»Wenn der Prophet nicht
zum Berg kommt«, sagte Hermann, drückte mir eine Flasche Wein in die Hand und
ging an mir vorbei in den Wohnungsflur. Amalie Eckholz folgte ihm.
»Pap, ich …«, setzte
ich an, gab mich aber sofort geschlagen, als ich sah, wie er drei Gläser auf
den Tisch stellte und den Korkenzieher aus der Schublade nahm. Ich war vor
einer Minute erst nach Hause gekommen, noch in Uniform und hatte feststellen
müssen, dass Henrike immer noch nicht da war. Langsam reichte es mir. Sie
musste sich doch meine Sorgen um sie vorstellen können.
Hermann bewegte sich in
meiner Küche, als ob es seine wäre, was ja letztlich auch den Tatsachen
entsprach. Als er vor einigen Monaten aus eigenem Entschluss ins Altenheim
gezogen war, hatte er mir nicht nur seine Wohnung, sondern auch beinahe
sämtliche Einrichtungsgegenstände überlassen. Einiges hatte ich verschenkt,
einige wenige Dinge entsorgt. Die Küche aber hatte ich unverändert gelassen, so
wie mein Vater sie nach dem Tod meiner Mutter bis auf den turnusmäßigen
Austausch der Elektrogeräte unverändert gelassen hatte. Die Eckbank, das
Küchenbuffet und das ausgestopfte Eichhörnchen über der Tür waren feste Größen
in meinem Leben.
»Wir haben einen Ausflug
gemacht.« Hermann entkorkte die Flasche und schenkte zuerst Amalie, dann mir
ein. »Mit unseren neuen Pedelecs.«
»Du hast dir ein neues
Fahrrad gekauft?« Ich nahm mein Glas von ihm entgegen und lehnte mich an die
Spüle. Umziehen konnte ich mich später.
»Nein. Kein Fahrrad. Ein
Pedelec. Das ist ein Fahrrad mit Elektromo…«
»Ich weiß, was das ist. Aber
ist das nicht zu anstrengend für dich?«, fragte ich Amalie, weil ich wusste,
dass sie Probleme mit ihrer Hüfte hatte und sich zeitweise nur mit Hilfe eines
Rollators fortbewegen konnte.
»Wir machen jetzt auch
Yoga.« Hermann nippte am Wein. »Wir tun was für unsere Fitness.«
Ich ignorierte ihn und sah
Amalie weiter neugierig an. Sie lachte.
»Es stimmt. Wir tun eine
Menge, und es wird wieder besser mit mir.« Amalie strahlte, und ich fragte mich
nicht zum ersten Mal, ob es wirklich nur die neue sportliche Betätigung war,
die sie körperlich verjüngte, oder ob es ihre Beziehung zu Hermann war, die ihr
neue Lebensgeister einhauchte. Die beiden hatten sich an Hermanns erstem Tag im
Altenheim kennengelernt und gefunden. Wenn mich nicht alles täuschte, hatte
Amalie seitdem abgenommen, und ihr weißes, kinnlanges Haar hatte einen frischen
Schnitt und einen seidigen Schimmer. Ich blinzelte. Sie trug Wimperntusche.
Die Wohnungstür wurde
geöffnet und fiel wieder ins Schloss. Schritte huschten an der Küchentür
vorbei. Ich stellte mein Glas weg und ging in den Flur.
»Henrike?« Keine Antwort.
»Henrike?« Diesmal lauter. In ihrem Zimmer rumorte es. Ich klopfte an.
»Ja?«
»Wo warst du?«
»Unterwegs.«
»Das ist mir klar.« Ich
lehnte mich gegen den Türrahmen und steckte die Hände in die Hosentaschen. Ihr
Zimmer sah aus, als ob eine Bombe eingeschlagen hätte. Auf und unter dem Bett,
über dem Fußende und auf dem Schreibtischstuhl türmten sich ihre Klamotten,
die, wenn der Geruch nicht täuschte, dringend gewaschen werden mussten. Die
Schreibtischplatte war unter den Bergen aus Papier, Schulbüchern, dreckigen
Tassen und Gläsern
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