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Eifler Zorn

Eifler Zorn

Titel: Eifler Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Pistor
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auf, dreht sie in seinen Händen wie einen Hut, den man abgenommen hat und
nicht wieder aufsetzen kann. »Damit kann nichts mehr passieren. Und billig ist
es auch noch.«
    »Du
nimmst ihn in Schutz?«
    »Ich
nehme niemanden in Schutz. Ich sehe nur, wenn jemand seinen Kopf gebrauchen
kann.« Der Färber bedenkt Paul mit einem kurzen Lächeln.
    Die Augen
des Aufsehers verengen sich zu Schlitzen. Er schnaubt. »Ist er auch einer von
denen, die du mit zu deinen Aufwieglern schleppst?«
    »Ich
kenne den Jungen gar nicht, Otto.« Der Färber räuspert sich. »Er ist …«
    Ein
klagender Laut gellt durch die Halle, eine Mischung aus Erstaunen, Schrecken
und Schmerz. Lauter und lauter, bis er schließlich abrupt abbricht. Kurz
herrscht Starre unter den Arbeitern, gefolgt von hektischen Blicken, der Suche
nach dem Ursprung, raschen Schritten, Rufen und Befehlen, die Lederriemen auf
die Leerlaufräder zu wechseln und die Maschinen so zu stoppen.
    Der Mann
liegt verkrümmt auf dem Boden vor einer der Maschinen. Die Schulter verdreht.
Der rechte Unterarm fehlt. Blut sprudelt aus der offenen Wunde an seinem
Ellenbogen. Er schnappt nach Luft, während die Männer sich auf ihn stürzen,
Stofffetzen um den Armstumpf wickeln und versuchen, die Blutung zu stoppen. Die
Lippen blass, die Augen dunkel und weit, nimmt seine Haut die graue Farbe der Wollflusen
an, die sein Gesicht bedecken.
    Paul
rührt sich nicht. Steht da wie taub. Das hier hat er sich vorgestellt, darüber
nachgedacht und es verhindern wollen. Die Grausamkeit der Wirklichkeit macht
ihn sprachlos.
    »Verdammt,
da siehst du, was du anrichtest. Das da ist deine Schuld!« Die Finger des
Aufsehers drücken sich wie Krallen in seine Schulter, zerren ihn mit. Durch die
Halle, über den Hof und durch die Eingangstür des Kontors.
    »Ich
hatte nichts damit zu tun.«
    »Er lügt
doch! Hat die Maschinen verändert, obwohl es ihm strikt untersagt war.«
    »Das
stimmt, aber …«
    »Hören
Sie? Er gibt es zu.« Der Aufseher nickt dem Sekretär übertrieben zu.
    »Nein.«
    »Und was
ist mit der Pappscheibe am Schwungrad? Jetzt hat es einem den halben Arm
abgerissen.«
    »Das hat
mit der Pappe doch nichts zu tun. Die Pappe sollte verhindern, dass …«
    »Ich …«
    »Ruhe!«
Die Tür zum Büro des Fabrikanten öffnet sich, und Paul sieht zum zweiten Mal,
seit er hier Arbeit gefunden hat, den Besitzer der Fabrik. Wie vor einigen
Wochen, als er sich mit zehn anderen Jungen hier beworben, sein Zeugnis
vorgewiesen und Rede und Antwort gestanden hat, trägt er einen dunkelgrauen
Anzug aus einem der besten Stoffe, mit weißem hohem Kragen und dunkler
Krawatte. Heute ist von der freundlichen Aufmerksamkeit, mit der er Paul und
die anderen an diesem ersten Tag gemustert hat, nichts zu merken. »Hinrichs,
was krakeelen Sie?«, fragt er den Aufseher und streicht sich über die äußeren
Enden seines Schnäuzers. Hinrichs folgt der Bewegung wie ein Echo. Die beiden
Männer tragen die gleiche Bartform, aber der des Aufsehers scheint größer, dichter
und länger und gerade deshalb wie ein billiger Abklatsch. »Sie wissen, dass
Schreihälse keinen Platz bei mir finden. Das gilt auch für Sie.«
    »Ein
Unfall ist geschehen, und dieser Junge trägt die Schuld daran«, beeilt sich
Hinrichs zu sagen, packt Paul am Oberarm und stößt ihn nach vorn. »Mit seinen
krausen Ideen bringt er nichts als Unruhe in die Arbeiterschaft.«
    Paul
spürt, wie die Wut in ihm hochkocht, brodelt und sich staut. Er schwitzt. Seine
Handflächen werden feucht und sein Hals trocken. Er schüttelt stumm den Kopf.
    »Wie
heißt du?«
    »Weber.
Paul.« Er presst die Worte durch die Kehle.
    »Und ich
habe dir wann eine Arbeit gegeben?«
    »Vor zwei
Monaten.« Paul sieht dem Fabrikanten direkt in die Augen. Dieser Mann muss doch
ein Interesse daran haben, die Dinge zu verbessern. Wenn er nur die Gelegenheit
bekommen könnte, seine Gedanken und Ideen zu erklären, wenn es ihm doch
gelänge, sich Gehör zu verschaffen.
    »Er
treibt sich mit Aufwieglern herum.«
    »Nein.«
Das Wort Aufwiegler steht für die Männer, die sich für die Rechte der Arbeiter
einsetzen, und die, das hat Paul selbst schon erlebt, werden umgehend
entlassen.
    »Acht
Wochen? Ist das richtig?« Der Fabrikant kommt näher. »Du scheinst mir ja ein
schlaues Bürschchen zu sein.« Er geht zum Pult des Sekretärs, legt die
Fingerspitzen auf die Platte, hebt sie und schlägt mit der flachen Hand auf das
Pult. »Welch eine Vermessenheit. Du missbrauchst mein

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