Eifler Zorn
ich kehrtmachen und nach Hause radeln würde. Eine blöde
Idee wird nicht besser davon, dass man auf Biegen und Brechen an ihr festhält.
Hinter Michaela Rüttner
öffnete sich die Terrassentür einen Spaltbreit, und ich konnte eine Hand
erkennen, die sich am Rahmen festhielt. Der Rest der Person war hinter den
spiegelnden Bildern des Feuers auf der Scheibe verborgen. Michaela Rüttner
drehte sich um. Sie sagte etwas, was ich wieder nicht verstehen konnte, und
nickte. Die Hand verschwand, und die Tür schloss sich wieder. Dann fiel das
Licht der Flurleuchte durch das Wohnzimmerfenster. Der Schattenumriss eines
Mannes bewegte sich und verschwand in Richtung Haustür.
Michaela Rüttner war
geschieden und lebte allein, allem Anschein nach hatte sie Besuch gehabt. Warum
auch nicht? Ich zog meine Strickjacke enger um mich und beschloss endgültig,
das Gespräch mit ihr auf morgen zu vertagen, als mich ihre Stimme zurückhielt.
»Ich kann Sie sehen, Sie
brauchen sich nicht wegzuschleichen.«
Ich erstarrte. Sie näherte
sich dem Abschnitt der Hecke, hinter dem ich stand.
»Wenn Sie sich wieder das
Maul zerreißen wollen, bitte! Tun Sie sich keinen Zwang an.« Mit beiden Armen
schob sie die Äste der Hecke zur Seite und blickte mich, als sie mein Gesicht
sah, verwundert an. »Sie sind doch Frau Weinz, Henrikes Pflegemutter, richtig?«
»Patentante«, erwiderte ich
automatisch und fügte hinzu: »Sie wohnt bei mir.«
»Was tun Sie hier?«
»Ich wollte Sie sprechen.«
»Und da verstecken Sie sich
hinter meiner Gartenhecke?«
»Nein, ich …« Ich
schüttelte den Kopf und straffte die Schultern. Eine peinlichere Situation als
diese konnte ich mir nur schwer vorstellen. Ich trat die Flucht nach vorne an.
»Wen haben Sie denn hinter der Hecke erwartet? Mich doch wohl nicht?«
»Nein.« Sie umfasste ihre
Oberarme und rieb darüber. Dann blickte sie zu Boden, wandte sich ab und machte
Anstalten, ins Haus zu gehen.
»Es scheint nicht das erste
Mal zu sein, dass jemand hinter Ihrer Gartenhecke lauert?«
Sie blieb stehen und warf
einen kurzen Blick in meine Richtung. »Nein. Ist es nicht.«
Ich schwieg. Wartete. Dann
zuckte ich mit den Schultern und ging an der Hecke entlang zurück in Richtung
Straße. Ich konnte sie zu nichts zwingen.
»Warten Sie, Frau Weinz!«
Sie lief mir auf der Gartenseite hinterher. »Sie sind doch Polizistin?«
»Ja.« Ich blieb stehen.
»Meine Nachbarin.«
»Was ist mir Ihrer
Nachbarin?«
»Sie steht öfter da und
beobachtet mich.«
»Bedroht sie Sie?«
»Nein. Das nicht.«
»Aber?«
Sie zögerte, blickte wieder
auf den Boden, bevor sie mit fester Stimme sagte: »Wenn Sie einen Moment Zeit
haben? Ich mache Ihnen die Haustür auf.«
Die Kissen und Decken
auf dem L-förmigen Sofa und dem Boden davor wirkten zerwühlt. Auf dem Tisch
standen zwei Gläser, fünf heruntergebrannte dunkle Kerzen flackerten daneben
vor sich hin. Leise Sphärenmusik waberte durch das Zimmer, ohne dass ich hätte
sagen können, wo die Boxen standen.
»Mein Lebensstil passt ihr
nicht. Genau wie einigen anderen Leuten im Ort. Sie meinen, jemand mit meiner
Position sollte eine Vorbildfunktion einnehmen.«
»Was ist mit Ihrem
Lebensstil?«
»Er ist …«, sie
lächelte, »nun, sagen wir mal, nicht so üblich hier auf dem Land. Die Leute
wissen nicht genau, was ich in meinen vier Wänden so mache, deswegen sind sie
misstrauisch. Und ich lebe allein. Da finden einige reichlich Futter für ihre blühende
Phantasie. Sie glauben ja nicht, was mir schon alles nachgesagt wurde.
Sadomaso-Praktiken, ungezügeltes Fremdgehen, Partnertausch, was weiß ich alles.
Am lautesten schreien die, die sonntagmorgens in den Kirchenchor laufen und am
Abend zur Geliebten, mit der sie seit Jahren ihre braven Hausmütterchen
betrügen.«
»Hat die Gerüchteküche denn
recht?«
»Nein, hat sie nicht. Aber
das ist nicht das Wesentliche. Entscheidend ist doch, dass es sie nichts
angeht. Wissen Sie, selbst wenn ich Vergnügen an solchen Dingen finden würde,
ginge es die Leute nichts an. So etwas ist eine rein persönliche
Angelegenheit.«
»Aber so sehen es die Leute
nicht?«
»Nein, ganz und gar nicht.«
Sie redete sich in Rage. »Mir ist schon vorgeworfen worden, dass sich so ein
Verhalten doch nicht mit meinem Amt als Vorsitzende des Kulturrates vereinbaren
ließe. Natürlich nicht offen. Nur hinter vorgehaltener Hand. Aber letztlich
höre ich davon und rege mich auf. Auch wenn diese Dummköpfe es eigentlich nicht
wert
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