Eifler Zorn
heißt deine
Freundin?«
»Warum wollen Sie das
eigentlich alles wissen? Sie kennen mich doch gar nicht«, brauste Henrike auf
und trat einen Schritt zurück.
»Entschuldigung. Es lenkt
mich ab. Von den Schmerzen.«
»Schon gut.« Es klang
versöhnlich. »Sie heißt Luisa.«
»Ein schöner Name.« Bianca
zögerte, bevor sie weitersprach. Hatte Arno gestern nicht von einer Luisa
gesprochen? Sie setzte sich auf, zog die Knie an und wollte aufstehen. Henrike
packte zu und stützte sie, bis sie sich aufgerichtet hatte. »Wie ist ihr
Nachname?«
»Das geht Sie gar nichts
an.« Henrike ließ Biancas Arm los, fasste sie aber, als Bianca schwankte,
sofort wieder unter und vermied gleichzeitig jeden weiteren Körperkontakt.
»Ein Freund von mir hatte
eine Tochter, die so hieß.«
»Hatte?«
»Er ist vor Kurzem
gestorben.«
»Sie kannten Luisas Vater?«
»Wenn wir die gleiche
meinen.«
»Kobler. Luisa Kobler. Und
ihr Vater ist … war Arno Kobler.«
Bianca nickte. »Du hast sie
getröstet?«
»Ja. Aber es war seltsam.
Luisa war seltsam. Ich meine, ihr Vater ist gestorben, und sie hat nicht
geweint.«
»Manchmal ist das so.«
»Sie hat gar nichts gesagt.
Nur auf dieses dämliche zerfetzte Poster gestarrt, als ob es nichts
Grauenhafteres gäbe«, sprudelte es aus Henrike heraus. »Sie ist sonst auch
still, aber nicht so. Als ob sie eingefroren wäre.«
»Hat sie dir irgendwas über
ihren Vater erzählt?«
»Nein. Wieso?« Henrike
schaute sie an. »Woher kennen Sie Luisas Vater überhaupt? Von der Arbeit?«
Bianca richtete sich auf.
»Kannst du mich ein Stück begleiten? Es ist nicht weit.«
NEUN
Paul schwitzt. Sie haben eine neue Aufgabe, arbeiten seit Tagen daran.
Er will es gut machen. Will ein Lob des Meisters bekommen. Das ist schwierig.
Mit großer Vorsicht treibt er das Werkzeug ins Holz, es darf nicht abbrechen,
jetzt, wo er es beinahe vollendet hat. Er beugt sich so nah darüber, dass er
jede einzelne Faser des Holzes erkennen kann, und der Geruch nach Wald, der
ständig die ganze Halle ausfüllt, steigt ihm noch stärker in die Nase. Er
drückt und schiebt, nimmt schließlich einen kleinen Hammer zur Hilfe.
»Nein!«
Erschrocken lässt er sein Stemmeisen fallen. Es poltert über den Boden. Er
blinzelt. Er ist mit der Hand ausgerutscht, aber es ist gut gegangen. Kein
Schaden. Er atmet auf. In ein paar Sekunden kommen sie und kontrollieren die
Arbeiten.
»Was?«,
flüstert Ludwig und schaut ihn an.
»Alles
gut.« Er lächelt. »Wir kriegen die Wurst bestimmt.«
Ludwig
grinst zurück und fährt sich mit der Zunge über die Lippen. Die Wurststücke,
die die Meister nicht so großzügig verteilen wie ihre Schläge mit den
Anreißbrettchen auf Hände, Nacken und Oberschenkel der Schlechten, bekommen nur
die Besten. Solche wie Paul. Und er teilt sie mit Ludwig, der immer Hunger hat.
»Sie
kommen.« Ludwig geht drei Schritte nach links, an Paul vorbei und steht wie ein
Soldat neben der Werkbank. So ist die Regel.
»Weber?
Ehrenscheid?«
»Ja.« Sie
schauen starr geradeaus. Löhbach geht um sie herum, betrachtet die Werkstücke,
die nebeneinanderliegen, als es zu seinen Füßen metallisch klirrt. Er kratzt
sich bedächtig am Kinn und sieht auf den Boden.
»Aufheben«,
bellt er knapp und zeigt auf das Stemmeisen, das halb unter den Tisch gerollt
ist. »Was ist das?«
Paul will
sich bücken, aber Ludwig ist schneller. »Verzeihung.«
»Sorgfalt
im Umgang mit dem Werkzeug ist oberste Pflicht, Ehrenscheid. Zehn Schläge mit
der Rute am Samstag.«
»Ich …«,
entfährt es Paul, aber Löhbachs erhobene Hand stoppt ihn.
»Still.«
Der Meister beugt sich wieder über die Werkstücke, betrachtet, dreht und wendet
sie, rüttelt und bewegt die Zapfen hin und her, von denen einer glatt und ohne
Widerstand durch das Loch passt, während der andere ruckelt und stockt. »Wessen
Werkstück ist das?«, fragt er und hebt das gute hoch; mit der anderen Hand
schiebt er das in Ungnade gefallene achtlos zur Seite. Erwartungsvoll schaut er
Paul an, der einer seiner Musterzöglinge ist.
»Es
gehört Ludwig.« Paul hält dem Blick stand, in dem sich nacheinander
Verblüffung, Misstrauen und Zorn widerspiegeln. »Es ist Ludwigs Werkstück«,
bekräftigt er.
»Ehrenscheid?«
Löhbach dreht sich zu Ludwig um. Die Blicke der Jungen begegnen sich. Wenn sie
jetzt zugeben, dass Paul lügt, wird die Strafe umso schlimmer werden.
»Ja«,
krächzt Ludwig, »es ist meines.«
»Gut.«
Löhbach wippt auf den Zehen auf und ab.
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