Eifler Zorn
knapp über den Gelenken abgetrennt«, sprach sie ihre Gedanken laut
aus und gab sich und Sauerbier damit die Chance, einen Anknüpfungspunkt zur
Kooperation zu finden. »Das Wie könnte uns vielleicht Klarheit darüber
verschaffen, ob es zwischen den Fällen einen konkreten Zusammenhang gibt oder
nicht.« Sie hob ihren Rucksack hoch, griff nach der Jacke und sah Sauerbier
gespannt an. Der richtete sich auf und legte den Stift weg, schwieg aber
weiterhin. »Die Schnittstellen«, fuhr sie schnell fort, »sind an beiden Armen
jeweils symmetrisch. Sie haben glatte Ränder. Das Abtrennen wurde demnach mit
einem Messer oder einer Säge durchgeführt. Was auf eine defensive
Leichenzerstückelung hinweist. Das heißt, es kann sein, dass der Mörder auf
diese Weise die Identität des Opfers vertuschen wollte.«
»Was aber im Fall von Arno
Kobler keinen Sinn macht, sonst hätte man auch seinen Kopf abtrennen müssen.
Jeder kennt ihn hier. Seine eigene Frau wurde zum Fundort gerufen«, stieg
Sauerbier in ihre Überlegungen ein. »Natürlich war das nur ein Zufall«,
ergänzte er, »aber es ist nicht so unwahrscheinlich, hier in wirklich jeder
Situation einen Bekannten zu treffen.«
»Vielleicht sollte es den
Abtransport des Toten erleichtern, und der Täter ist nur nicht fertig
geworden?«
»Es war nur wenig Blut zu
sehen. Das heißt entweder, dass der Fundort nicht der Tatort ist, oder dass
Kobler zu dem Zeitpunkt, als ihm die Hände abgetrennt wurden, schon länger tot
gewesen sein muss.«
»Leider lässt sich wohl
nicht mehr feststellen, ob das irgendwie zum Tathergang bei der ersten Leiche
passt. Wenn aber Parallelen möglich sind und wir ihre Bedeutung erkennen,
wissen wir, wer es gewesen sein kann.«
»Verrenn dich nicht,
Mädchen.« Sauerbier sah aus dem Fenster. »Vielleicht gibt es überhaupt keinen
Zusammenhang. Wenn du krampfhaft danach suchst, bist du am Ende womöglich blind
für die wirkliche Lösung. Dann würdest du keinem der beiden Toten gerecht
werden.«
»Was meinst du also?«,
fragte Judith und war froh, wieder auf einer Ebene angekommen zu sein, auf der
eine Zusammenarbeit möglich war. Auch wenn er sie wieder Mädchen genannt hatte,
wollte sie ihm jetzt nicht widersprechen. Wahrscheinlich war das seine Art des
Friedenschließens.
»Ich meine nichts, ich
warte. Auf die offiziellen Ergebnisse. Die Spusi ist durch alle Ecken
gekrochen, die werden schon was finden. Jetzt ist die Baustelle erst mal wieder
freigegeben. Der Rechtsmediziner meldet sich morgen mit weiteren Ergebnissen.
So lange widme ich mich dem Papierkram.« Er schob demonstrativ die vor ihm
liegenden Papiere hin und her.
»Ja. Danke.« Sie blieb, ihre
Hand auf der Klinke, an der geöffneten Tür stehen. »Was ist jetzt mit Michaela
Rüttner?«
»Bekommt eine Vorladung.«
»Glaubst du, sie hat Arno
Kobler umgebracht?«
»Ich glaube auch nichts, ich
sammele Fakten.«
»Auch über Sandra Kobler?«
»Selbstverständlich.«
Judith wartete einen Moment,
ob er noch mehr sagen wollte. Das schien nicht der Fall zu sein, also nickte
sie stumm und zog die Tür hinter sich zu.
Der freundliche Herr des
Schleidener Bauamtes, der sie heute Morgen mit den Akten hatte versorgen
wollen, war ausgeflogen, und sie ärgerte sich, dass sie vorher nicht kurz
telefonisch nachgefragt hatte. Natürlich wusste niemand, wo er die Ordner
hingeräumt oder ob er sie sogar schon wieder ins Archiv gebracht hatte. Auf die
Wache zurückzufahren und sich Sauerbiers Launen auszusetzen, war keine Option.
Für heute hatte sie genug Friedenspfeife geraucht. Sie ging zu ihrem Auto und
stieg ein, ließ den Motor an und schaltete ihn wieder aus. Der Kopfschmerz
hatte sich in ihrem Schädel festgebissen und ließ sie nicht los. Sie kramte in
ihrem Rucksack nach einer weiteren Schmerztablette. Nachdenklich drückte sie an
dem Blisterpack herum. Das letzte Mal hatte es sie während der Prüfungszeit so
kalt erwischt. Und davor während der Phase in ihrem Studium, als sie sich nicht
sicher war, überhaupt den richtigen Beruf gewählt zu haben. War es wieder so
weit? Hatte sie sich wieder verrannt und gestand sich ihre Zweifel und Ängste
nicht ein? Mit einer raschen Drehung startete sie den Motor zum zweiten Mal.
An der Ausfahrt zur Straße
verharrte sie. Bog sie nach links ab, führte die Straße sie in den Ort, zu
Sauerbier, den Ermittlungen und dem trotz allem noch schwelenden Streit. Nahm
sie den Weg nach rechts, den Berg hinauf, wäre sie in weniger als einer Stunde
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