Eifler Zorn
reparieren
lassen und die deswegen im Laufe eines Tages eine Menge Zeit verlor, verkündete
Mittag. Zeit genug, um in meiner Pause persönlich zu Hause nach dem Rechten zu
sehen.
Henrikes Tasche lag auf
dem Boden, unachtsam in eine Ecke geknallt, die Jacke daneben. Sie war also
hier gewesen. Ein Blick auf den Stundenplan, den sie mit einem Magnet am
Kühlschrank befestigt hatte, bestätigte das. Heute war ein Kurztag, an dem sie
schon früh freihatte. Fluchend räumte ich die Kakaodose in den Schrank und das
dreckige Geschirr in die Spülmaschine. Die Türen des Gläserschranks standen
weit offen, der Tetrapak mit Saft auf dem Tisch. Selbstverständlich ohne
Verschluss. Ich kroch zwischen den Stühlen herum und sammelte den Deckel auf.
Ich hoffte, das benutzte Glas irgendwo in der Wohnung zu finden, bevor eine
dicke Schicht Schimmel sich darauf ausbreiten konnte. Nur der kriegsähnliche
Zustand in Henrikes Zimmer hielt mich davon ab, genau nachzusehen. Ich bückte
mich, hob ein einzelnes T-Shirt auf und warf es in den Wäschekorb im
Badezimmer. Hatte Hermann wirklich recht, wenn er behauptete, auch ich sei so
ein Chaot vor dem Herrn gewesen? Ich konnte mich nicht daran erinnern, in
meinem Zimmer jemals solche Haufen mit dreckigen Klamotten gehabt zu haben.
Oder hatte meine Mutter, und nach ihrem Tod Hermann, immer wieder aufgeräumt,
und ich hatte es als selbstverständlich angesehen, dass Dinge wie durch
Zauberhand gewaschen und gebügelt wieder in meinen Schränken landeten? Wenn ich
in Henrikes Zimmer schaute, musste es so gewesen sein. Ich war allerdings nicht
bereit, das für sie zu tun. Ich war mir außerdem sicher, dass ich nicht in
Andreas Sinn handeln würde, wenn ich ihrer Tochter den entzückenden Popo
hinterhertrug. Henrike war alt genug, um diese Verantwortung für sich selbst zu
übernehmen. Ich schrieb ihr einen Zettel, dass sie sich, sobald sie wieder zu Hause
war, bei mir melden sollte, und ließ das Chaos hinter mir.
»Was meinst du, Ina?
Teneriffa oder Lanzarote?« Hermann hielt mir einen Urlaubsprospekt unter die
Nase und sah mich erwartungsvoll an. Blauer Himmel und Palmen.
»Es soll dort noch so schön
warm sein um diese Jahreszeit«, ergänzte Amalie, zog einen weiteren Katalog aus
ihrer Handtasche und blätterte ihn durch. »Die Frau im Reisebüro meinte, für
unser Alter wäre die Wärme genau das Richtige.«
»Hallo, Pap«, begrüßte ich
meinen Vater und beugte mich zu ihm hinunter, um ihm einen Kuss auf die Wange
zu geben. Amalie reichte ich über den Tisch hinweg die Hand und lächelte sie
freundlich an. »Was heckt ihr beide schon wieder aus?«
»Wir fahren in Urlaub.« Zwei
Augenpaare strahlten mich an. »Hubert hier hat uns auf die Idee gebracht. Er
war schon dort, und es hat ihm sehr gut gefallen.«
»Wann?« Ich reichte dem
Dritten im Bunde die Hand. Hubert erhob sich andeutungsweise, um mich zu
begrüßen, und streckte mir seine Rechte entgegen, an der die beiden mittleren
Finger fehlten. Früher hatte er als Schreiner gearbeitet, und ich konnte mir
vorstellen, wie sie ihm abhandengekommen waren.
»So schnell wie möglich.
Vielleicht schon nächste Woche, wenn das mit dem Flieger klappt. Aber«, Hermann
legte den Prospekt zur Seite, »das können wir später besprechen. Was ist mit
deinem neuen Mordfall? Bist du schon weitergekommen?«
»Es ist nicht ›mein‹
Mordfall, Pap. Die Bonner Mordkommission ist angerückt und hat übernommen.«
»Sauerbier?« Hermann
schnaubte.
»Und Judith«, ergänzte ich.
»Sie ist für den ersten Mord zuständig.«
»Das heißt, es gibt noch
einen Toten?«, mischte sich Amalie ein und rückte auf ihrem Stuhl ein wenig
nach vorne. »Wer ist es?«
Ich nickte und griff nach einem
Katalog, auf dessen Deckblatt ein Liegestuhl auf blendend weißem Sand vor
türkisfarbenem Meer lockte. »Ihr wisst genau, dass ich euch nichts darüber
sagen darf«, sagte ich. »Aber vielleicht könnt ihr mir trotzdem helfen.« Ich
wandte mich an meinen Vater. »Du kennst doch noch das alte Anwesen in Mauel.«
Hermann nickte.
»Das, was sie abgerissen
haben.«
»Die erste Leiche ist nicht
erst seit gestern tot, so viel ist klar. Und wie sich die Situation darstellt,
hat sie vermutlich schon Jahre dort in dem Keller gelegen.« Ich dachte an die
Baggerführerin, die die Leiche gefunden hatte, und an den Zettel auf meinem
Schreibtisch. War sie tatsächlich die Frau, der Steffen gestern in der
Diskothek begegnet war und die was auch immer mit Arno Kobler zu schaffen
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