Eifler Zorn
nicht das Einzige, was uns
trennte. Während sie adrett, mit zweifarbig gesträhnten Kurzhaarfrisuren an
ihrem jugendlichen Aussehen feilten, strahlte jeder Zug an mir die
Gleichgültigkeit der Städterin aus, die sich in der Anonymität verstecken
wollte. Ich hatte mich von Olaf überreden lassen, überhaupt hierhin zu gehen,
und dann, kurz bevor wir losgingen, wahllos Jeans und T-Shirt aus meinem
Kleiderstapel übergestreift.
Wo blieb Olaf nur? Von meinem Platz aus suchte ich ihn in der Menge,
blieb an dem einen oder anderen Gesicht hängen, nickte, grüßte und lächelte.
Den Mann neben mir bemerkte ich erst, als er mich ansprach: »Hallo, Ina.«
Vor mir stand Steffen Ettelscheid. Olafs bester Freund seit
Kindertagen und Namensvetter meines Exmannes. Er war hochgewachsen, und die
vielen kleinen Fältchen um seine Augen zeigten mir, dass er sich vor Sonne und
Wind nicht fürchtete. Er schien sich über unsere Begegnung zu freuen. Ich hatte
ihn seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Dem Kind mit zerschlagenen Knien und
dem Jugendlichen mit langen Haaren und jeder Menge Buttons, die seine Ansicht
zur jeweils aktuellen Weltlage kundtaten, hatte ich oft genug die Tür geöffnet.
Hier stand ein erwachsener Mann vor mir. In seiner Schützenuniform sollte er
Tradition und Ordnung ausstrahlen, aber ich kam nicht umhin zu denken, dass er
irgendwie wie ein Rockstar aussah, der sich als Schütze kostümiert hatte. Wirre
braune Locken fielen ihm bis auf die Schultern, und in seinen dunklen Augen
blitzten Neugier und etwas Jungenhaftes auf. Er faszinierte mich, und ich
konnte nichts dagegen tun. Unwillkürlich hielt ich nach Buttons Ausschau,
entdeckte aber nur Orden der Schützenbruderschaft.
»Urlaub von der Domstadt?« Er lächelte mich auf eine Art an, die
mich hoffen ließ, er sähe mir die neun Jahre, die ich ihm voraushatte, nicht
an. Jetzt wünschte ich mir, ich hätte mehr Sorgfalt auf mein Äußeres gelegt.
Dunkle Strickjacken waren bequem und so oder so faltenfreundlich. Sie waren
nicht attraktiv.
»So ähnlich«, murmelte ich und war froh über die drei Gläser und die
Schale mit Erdnüssen, die Olaf zwischen uns auf den Biertisch stellte.
»Kommst du auch schon, Herr Oberförster?« Olaf hatte sich allem
Anschein nach erfolgreich durch das Gedränge an der Theke gekämpft und schob
ihm ein Bier zu. Es schwappte über den Rand, lief am Glas entlang und bildete
eine Lache auf dem dunklen Holz.
Einen kurzen Moment lang hielt ich es für Blut. Mir schwindelte. Ich
schloss die Augen. Ich war hier, um das zu vergessen.
»Lass mal, ich will nicht …!« Steffen sah zu seinem Freund und
schüttelte den Kopf.
Von meiner Reaktion hatte er nichts gemerkt. Er fischte einen
Bierdeckel aus der Lache und drehte ihn um. Nepomuk, der Gemünder
Brückenheilige, lächelte uns an. Steffen grinste zurück, setzte seinen
Schützenhut ab und legte ihn auf den Tisch.
»Dir würde so ein Hut auch gut stehen, alter Knabe.« Dann nickte er
mir zu, packte sein Glas, trank aber nicht. »Wie lange hast du Urlaub, Ina?«
» Be urlaubung, das ist ein
Unterschied!«, mischte sich Olaf ein. »Sie ist beurlaubt, unsere Frau
Kommissarin.«
Steffen zog eine Augenbraue hoch. »Hast du Mist gebaut?«
»Sie hat einen Fall ver…« Olaf murrte, als ich ihm meinen Ellbogen
durch seine Speckschicht in die Rippen jagte.
»Ich kann sehr gut für mich selbst sprechen, Brüderchen.«
Steffen schwieg und sah mich an.
Ich schob die Bierdeckel über den Tisch und kratzte an Nepomuks Nase
herum.
»Also gut.« Ich seufzte. Steffen war ein Freund meines Bruders. »Ich
habe mich von privaten Gefühlen in einem Fall beeinflussen lassen und mich und
meinen Kollegen damit in eine sehr gefährliche Situation gebracht.« Ich hob das
Bierglas an meine Lippen, setzte es aber sofort wieder ab. »Ich habe um die
Beurlaubung gebeten. Ich muss mir darüber klar werden, ob dieser Beruf wirklich
das Richtige ist für mich.«
Es hörte sich wie auswendig gelernt an, selbst in meinen Ohren.
»Und da hat sie sich gedacht, das kann sie am besten in der schönen
Eifel, im Schoße der Familie.« Olaf langte in die Erdnüsse, stopfte eine
Handvoll in den Mund und kaute. Seine Wangen wogten auf und ab. »In meiner
Wohnung.«
»Ja, manchmal muss man wissen, wo man hinwill.« Steffen nickte. »Und
wo man hinkann.«
Die Musikkapelle auf der Bühne spie ein paar Töne in das Festzelt.
Ich zuckte zusammen.
»Wir wollen aber jetzt keine Trübsal blasen!« Olaf prostete uns
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