Ein Abenteuer zuviel
dem Ruth zwar nicht liiert war, der aber dennoch die Macht besaß, sie zu verzaubern, wenn sie nur an ihn dachte?
„Ich habe nachgedacht”, erwiderte sie lächelnd.
Franco runzelte die Stirn. „Worüber?”
„Über nichts Spezielles.” Sie zuckte die Schultern, und er machte ein noch finstereres Gesicht. „Warum haben Sie nie geheiratet?” erkundigte sie sich dann leise.
Plötzlich wurde ihm bewusst, dass Ruth, auch wenn sie ständig errötete, nicht im Mindesten von ihm eingeschüchtert war. Er war einer der begehrtesten Junggesellen Londons, wenn nicht der begehrteste, und wurde in der Geschäftswelt respektiert, teilweise sogar gefürchtet. Die Frauen liefen ihm nach, und wenn er wollte, genügte fast schon ein einziger Blick, um sie auf Distanz zu halten. Die Leute umschmeichelten ihn auf Grund seiner Macht und Stellung. Aber noch niemand hatte ihn je gefragt, warum er noch ledig sei.
„Ich meine”, fuhr Ruth bedächtig fort, „es muss doch Frauen geben, die Sie attraktiv finden.”
„Es dürfte irgendwo einige geben, die nicht schreiend vor mir davonlaufen”, erwiderte Franco nachdenklich.
„Es tut mir Leid. Ich wollte nicht… Ich wollte nur sagen, dass … Nun, Sie sind … erfolgreich, selbstständig
… und … und …”
„Und …?” Er genoss den herrlichen Moment und hoffte, dass er ihn noch etwas auskosten konnte und der Taxifahrer ihn nicht verdarb, indem er sie zu schnell ans Ziel brachte.
„Und nicht hässlich”, stieß sie hervor. „Aber es geht mich nichts an.”
„Ist nicht hässlich als Kompliment zu werten?” fragte er mit schiefem Lächeln, und sie hätte vor Verzweiflung und Verlegenheit laut aufstöhnen mögen.
Sie war noch nie besonders redegewandt und gesellig gewesen, hatte sich allerdings auch noch nie so linkisch verhalten wie in Gegenwart dieses Mannes. Er verfügte über die seltsame Fähigkeit, ihr fast völlig die Sprache zu rauben.
„Es … es tut mir Leid”, wiederholte sie und war froh, dass sie am Ziel angekommen waren und ihr so eine längere Überprüfung ihres armseligen Wortschatzes erspart blieb.
Sie hatte ganz selbstverständlich angenommen, dass er ein Haus bewohnen würde. Auf dem Land galt die Faustregel: Je größer und beeindruckender das Haus war und je weitläufiger das Grundstück, umso wohlhabender waren die Besitzer.
Stattdessen hielt das Taxi vor einem mehrstöckigen Apartmenthaus aus viktorianischer Zeit. Es lag mitten im Herzen von London in einer kleinen Seitenstraße, die zweifellos eine vornehme - und teure - Oase der Ruhe war. Dennoch war Ruth überrascht, dass Franco in einer Wohnung lebte.
„In Dorset besitze ich eine sehr nette Ansammlung von Ziegeln und Zement”, flüsterte er ihr ins Ohr. Sie hörte das Lachen in seiner Stimme und wurde sich bewusst, dass er wieder einmal ihre Gedanken erraten hatte.
„Wie geht es Ihrer Hand?” fragte sie schnell und stieg aus.
Fast hätte er sich verraten und ihr gesagt, dass er seine „Verletzung” vergessen habe. Er erinnerte sich gerade noch rechtzeitig daran, dass dies der einzige Grund war, warum Ruth hier war. Wenn er ihr erzählte, dass er keinerlei Beschwerden mehr hatte, würde sie wahrscheinlich gleich mit dem Taxi weiter zu ihrer Wohnung fahren. Und das wollte er nicht riskieren.
„Sie schmerzt noch leicht”, antwortete er leise, ohne auch nur das geringste Schuldgefühl zu empfinden. Er bezahlte den Fahrer und stieg ebenfalls aus. „Mein trautes Heim”, verkündete er dann und nickte in Richtung des Hauses.
„Sie meinen, Ihr trautes Heim Nummer eins.”
„Eigentlich Nummer drei.” Er schloss die Haustür auf. „In Italien habe ich auch noch eins.”
„Selbstverständlich”, erwiderte sie etwas sarkastisch und sah ihn an. „Ich begreife allmählich, warum Sie
eine Firma zum Spaß kaufen konnten.” Sie lächelte und wandte sich ab, um ihre Umgebung zu betrachten.
Aber natürlich, dachte Franco ironisch, wenn meine fesselnde Persönlichkeit schon hinter einer harmlosen Schramme zurückstehen musste, ist es sonnenklar, dass Ruth mich jetzt völlig vergisst.
Ruth atmete hörbar ein, als sie den großen modernisierten Eingangsbereich betraten, in dem ein Portier in Livree saß. Und während George, der Portier, Franco die Post reichte und die beiden wie zwei alte Bekannte einige Worte miteinander wechselten, blickte sie sich staunend um.
Das Haus war nicht dunkel und eng, wie sie es eigentlich erwartet hatte, sondern hell und weitläufig. Auf dem
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