Ein Abenteuer zuviel
sie auf Matties Erscheinen. Ruth hatte sich inzwischen so an die langsam vorbeifahrenden Wagen gewöhnt, dass sie es kaum wahrnahm, als einer neben ihnen hielt und ein Mann das Seitenfenster hinunterdrehte. „Wie viel, Schätzchen? Wann bist du fertig?”
4. KAPITEL
„Sind Sie sicher, dass Sie okay sind? Vielleicht sollten wir einen Arzt aufsuchen …” Ruth hatte diese Frage schon vier Mal innerhalb der letzten halben Stunde gestellt. Aber während sie besorgt auf Francos lädierte Hand blickte, die auf seinem Schenkel ruhte, empfand sie noch immer das gleiche Entsetzen und dieselben Gewissensbisse. „Es ist alles meine Schuld, oder?” meinte sie kläglich. Sie hatte es weniger gefragt, als viel mehr laut gedacht. „Wenn ich mich nicht so angezogen hätte …” Sie sah angewidert an sich hinunter. „…
wäre das nicht passiert.” Vorsichtig strich sie mit der Fingerspitze über die geschundenen Knöchel und stöhnte leise auf. „Ist es sehr schlimm?”
„Ich kann einiges aushalten”, antwortete Franco gelassen. Sie hatten zehn Minuten laufen müssen, bis sie endlich ein Taxi bekommen hatten, doch während der ganzen Zeit war Ruth so rührend um sein Wohlbefinden besorgt gewesen, dass ihm richtig warm ums Herz geworden war.
Wem tat es schon weh, wenn er eine kleine Schramme zu einer schmerzhaften Verletzung hochstilisierte?
„Ich hätte das nie anziehen sollen”, wiederholte Ruth und zog die Jeansjacke fester um sich, als könnte sie sich so unsichtbar machen.
„Hören Sie auf damit.”
„Wie könnte ich das? Mir wird ganz anders bei der Vorstellung, wie ich ausgesehen haben muss, wenn dieser Mann … dieser grässliche, ekelhafte, widerliche Mann dachte, ich wäre … zu haben.” Sie atmete voller Abscheu aus und blickte Franco aufgebracht an, der neben ihr auf der Rückbank saß. „Ich habe noch nie im Leben eine derartige Aufmerksamkeit erregt!” stieß sie hervor und klang so entsetzt, wie sie es war.
Fasziniert beobachtete er, wie das Licht der Straßenlaternen immer wieder kurz auf ihr blondes Haar fiel und es golden glänzen ließ. „Männliche Aufmerksamkeit kann Ihnen doch nicht so fremd sein”, sagte er schließlich ernst.
„Wie lange dauert es noch, bis wir bei Ihnen zu Hause angekommen sind? Ich habe während meiner Schulzeit einen Erste-Hilfe-Kurs gemacht. Ich sollte Sie im Nu verarzten können.”
„Vergessen Sie die Hand”, erwiderte er gereizt. Es gefiel ihm überhaupt nicht, dass seine normalerweise so einnehmende Persönlichkeit von einer leicht geschwollenen Hand in den Hintergrund gedrängt wurde. „Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.”
„Welche Frage?” Ruth blickte ihn arglos an.
„Ich sagte”, wiederholte er und rang um Fassung, „dass Sie es eigentlich gewohnt sein müssten, Aufmerksamkeit bei Männern zu erregen.” Franco legte die Hand auf den rechten Schenkel, um zu verhindern, dass Ruth sich erneut von seinen nun praktisch schmerzfreien Knöcheln ablenken ließ. Sollte sie sich aber weiter so um die blöde Schramme sorgen, dachte er, muss sie sich schon zu mir herüberbeugen, was sie wohl leider nicht tun wird.
„Ich habe momentan keinen Freund”, erklärte sie und errötete. „Ich glaube, Sie haben mich schon einmal danach gefragt”, fuhr sie fort, und er hatte das ungute Gefühl, dass er ihr lästig war oder sie ihn gar langweilig fand.
„Ich habe Sie nicht gefragt, ob Sie liiert sind oder nicht”, antwortete er. „Ich habe lediglich festgestellt, dass ein Mädchen wie Sie es gewohnt sein muss, von Männern beachtet zu werden.” Warum war ihre Unterhaltung nur so kompliziert geworden?
„Ein Mädchen wie ich? Was für eine Art von Mädchen ist denn das?” Ihre Stimme hatte zuletzt kühl und missbilligend geklungen.
„Ich wollte nicht andeuten, dass Sie irgendeine Art von Mädchen sind oder zumindest nicht die Art von Mädchen, die Sie meinen … Ich wollte andeuten … O verdammt!” Er strich sich mit der unversehrten Hand durchs Haar. „Sie machen mich sprachlos!” Unwillkürlich lächelte er verführerisch, erzielte damit allerdings nicht die gewünschte Wirkung, denn Ruth blickte stur aus dem Wagenfenster nach draußen.
„Wo, hatten Sie gesagt, würden Sie wohnen? Ich kenne die Gegend nicht.” Ruth spürte, wie ihre Nerven leicht zu flattern begannen, und überlegte, ob es wirklich so eine gute Idee gewesen war, ihm ihre Hilfe anzubieten. Er hätte seine Hand genauso gut selbst verarzten können. Aber warum
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