Ein Abenteuer zuviel
hätte er es tun sollen, wenn sie entsetzt und voller Mitleid reagiert und ihn gedrängt hatte, sie unverzüglich zum nächstbesten Erste-Hilfe-Kasten zu bringen? Der, hatte er ihr dann bereitwillig erklärt, würde sich im Badezimmer seines Hauses befinden.
Wenn sie auf ihren Verstand und nicht auf ihr Herz gehört hätte, hätte sie sich abgewandt und ihn sich selbst überlassen und wäre in ihre Wohnung zurückgekehrt, um sich von dem schrecklichen Erlebnis zu erholen. Ihre Schuldgefühle hatten sie allerdings daran gehindert.
Sie hatte unabsichtlich die Aufmerksamkeit eines Freiers erregt, und Franco hatte schnell reagiert und die Situation auf seine Weise geregelt. Er hatte sich gar nicht erst damit aufgehalten, dem Mann etwas zu erklären, sondern ihn kurzerhand aus dem Auto gezerrt, ihm einen Kinnhaken versetzt und ihn dann unter wüsten Beschimpfungen wieder in den Wagen zurückbefördert. Ist es da verwunderlich, dass ich mich schuldig gefühlt habe? dachte sie, während sie versuchte, ihre nervöse Anspannung niederzukämpfen.
„In Chelsea, in einer Querstraße der King’s Road. Bestimmt waren Sie schon einmal dort, seit Sie in London sind,”
„Ja, das war ich, sogar mehrmals zu einem Einkaufsbummel. Aber es ist mir dort eigentlich etwas zu teuer.
Als Mum vor kurzem einige Tage bei mir zu Besuch war, bin ich auch mit ihr dort gewesen. Sie hat mir fast die ganze Zeit erzählt, dass sie sich nicht vorstellen könne, für welche Leute einige der Kleidungs-stücke in den seltsamen kleinen Läden gedacht sind.”
Ruth lächelte schalkhaft. „Die Ärmste kann schon ein bisschen altmodisch sein.” Gespielt ernst sah sie Franco an. „Sie hat ein ziemlich behütetes Leben geführt, wissen Sie. Mit einem Pfarrer verheiratet zu sein
… Aber zum Glück hat sie ja mich.” Franco bemerkte ihren selbstironischen Gesichtsausdruck, und sie lächelten sich an, genossen beide den Moment perfekter Harmonie, in dem sie auf derselben Wellenlänge lagen.
Ruth sah als Erste weg. Aus irgendeinem Grund hatte ihr Herz plötzlich wie wild zu klopfen begonnen, und es war ihr unmöglich, seinem ruhigen, amüsierten Blick standzuhalten. „Wie sind Ihre Eltern?”
“Waren”, verbesserte er sie. „Mein Vater ist vor acht Jahren gestorben und meine Mutter vor drei.”
„Es tut mir Leid”, sagte Ruth impulsiv. „Aber sie waren bestimmt sehr stolz auf Sie. Sie haben so viel geschafft. Firmen gegründet, ganze Gesellschaften, ein richtiges Imperium.”
„Mein Vater war auch ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann. Von daher waren sie von dem, was ich erreicht hatte, nicht ganz so beeindruckt, wie sie es wohl sonst gewesen wären. Aber natürlich waren sie stolz auf mich”, fügte er schnell hinzu.
„Allerdings waren sie auch etwas enttäuscht, weil ich nicht - wie sie immer gehofft hatten - geheiratet und ihnen Enkel geschenkt habe. Meine Mutter hatte sich immer viele Kinder gewünscht. Allerdings gab es Probleme, und schließlich stellte sich heraus, dass sie froh sein musste, überhaupt ein Kind bekommen zu haben. Ja, sie hätten es gern gesehen, wenn ihr einziger Sohn eine Familie gegründet hätte.”
Franco mit Frau und vielen kleinen Francos. Ruth spürte, wie ihr bei dem Gedanken der Mund trocken
wurde. Ihr Herz schien einen Schlag auszusetzen und klopfte dann noch etwas schneller.
„Wissen Sie was?” fuhr Franco leicht erstaunt fort. „Ich habe noch niemandem das erzählt, was ich Ihnen gerade erzählt habe.”
„Warum nicht? Schämen Sie sich, weil Ihre Eltern es gern gesehen hätten, wenn Sie eine Familie gegründet hätten?” Sie konnte sich nichts Schöneres vorstellen, als einen geliebten Mann zu heiraten und Kinder mit ihm zu haben. Sie träumte von einer großen Familie in einem gemütlic hen Haus, in dem Lachen und Musik erklangen, wo man über seine Probleme sprach und jeder jedem half. Ruth seufzte und lächelte verhalten.
„Wo sind Sie mit Ihren Gedanken?” fragte Franco neugierig, und sie kehrte in die Gegenwart zurück.
„Wie bitte?”
„Sie waren plötzlich ganz weit weg, in eine eigene Welt entschwunden.”
Ihre verträumte Miene hatte ihn zutiefst frustriert. Und was er sich nur schwer eingestehen konnte, war das stechende Gefühl der Eifersucht, das ihn überkommen hatte, als er missmutig überlegt hatte, dass dieser glückliche Ausdruck auf ihrem Gesicht höchstwahrscheinlich mit dem Gedanken an einen Mann zu tun hatte. Gab es da jemanden im Hintergrund? Jemanden, mit
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