Ein Abenteuer zuviel
lagen auf der Hand. Ruth war schwanger und hatte ihn in eine Lügengeschichte mit hineingezogen, um ihren Eltern einen kleinen Teil der Wahrheit zu ersparen. Selbst wenn sie es nicht erkannt hatte, er hatte es getan: Jeder konnte aus der Situation als Gewinner hervorgehen.
Er würde nur eine Weile mitspielen müssen. Irgendwann sollte er zu einer erfundenen geheimen Mission aufbrechen, zurückkommen, wenn das Kind geboren war, und bald wieder abreisen. Schließlich würde sich herausstellen, dass er zu oft weg und eine Scheidung unvermeidbar war.
Und sein Kind zu sehen dürfte auch kein Problem darstellen. Er brauchte Ruth nur zu überreden, nach London zurückzukehren. Vielleicht wollte sie auch wieder in der Redaktion arbeiten. Er könnte ihr den Job zurückgeben und dafür sorgen, dass sie gut verdiente, damit sie sich keine Gedanken um ihre finanzielle Situation zu machen brauchte. Ende der komplizierten Geschichte.
Doch eigentlich entsprach dieser Ablauf der Dinge nicht dem, was er, Franco, wollte.
Er wollte kein Teilzeitvater sein und auch kein Scheinehemann. Er wollte mehr. Aber wann immer er sich mit diesem „Mehr” zu befassen drohte, versuchte er, seine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken.
Aufmerksam betrachtete er ihr Gesicht und musste sich sehr beherrschen, um die Unterhaltung nicht voranzutreiben, bis sie an dem von ihm gewünschten Punkt angekommen waren.
„Du könntest einfach weggehen”, sagte Ruth leise. „Ich würde dich nicht daran hindern, das Kind zu sehen, wann immer du willst…”
„Nein, das kann ich nicht. Du hast mich in die Sache mit hineingezogen, und ich habe nicht vor, als Schuft dazustehen.”
„Wer würde das denken?”
„Meine Freunde zum Beispiel. Ich würde mein Kind besuchen, dessen Mutter ich im Stich gelassen hätte.
Und wie würden es deine Eltern empfinden? Sie würden bestimmt keine hohe Meinung von mir haben, wenn ich plötzlich verschwinden und dich deinem Schicksal überlassen würde.” Franco wusste auch nicht, warum es ihn kümmerte, aber das tat es.
„Du könntest Unterhalt zahlen, wenn du dich dann besser fühlst.”
„Nein!”
„Pst. Du weckst noch meine Eltern auf. Sie haben einen leichten Schlaf.”
„Nein!” wiederholte er leiser, aber genauso energisch und stand auf. „Also kümmere dich um das Bett.” Er wandte sich ab und ging zur Tür.
Wie ein treu sorgender Ehemann rief er sie jeden Abend an. Es war immer zur Essenszeit, wenn ihre Eltern da waren, und Ruth vermutete zunächst einmal, dass er damit Eindruck bei ihnen schinden wollte.
Nein, überlegte sie dann, das ergibt keinen Sinn. Warum sollte er zwei Menschen beeindrucken wollen, mit denen er über kurz oder lang nicht mehr in Berührung kommen würde? Er rief wohl nur deshalb immer zur gleichen Zeit an, weil es für ihn der günstigste Zeitpunkt war.
Was machte Franco wohl danach? Bestimmt verbrachte er die Abende nicht zu Hause vor dem Fernseher.
Doch was machte er dann? Ihre Fantasie ging mit ihr durch.
Am Abend vor seiner Rückkehr konnte Ruth dem Drang nicht widerstehen und wählte seine Nummer. Sie war so sehr davon überzeugt, ihn nicht anzutreffen, dass es ihr erst einmal die Sprache verschlug, als sie seine tiefe Stimme hörte.
„Ich bin’s”, stieß sie schließlich hervor. „Ruth”, fügte sie schnell hinzu, falls er ihre Stimme nicht erkannt hatte.
„Ich weiß, wer am Apparat ist. Was ist? Ist alles in Ordnung?”
Franco klang besorgt, und Ruth gestattete sich einen Moment lang, in dem Glücksgefühl zu schwelgen, dass er sich tatsächlich etwas aus ihr machte.
„Ja. Dem Baby und mir geht es gut.”
„Warum rufst du dann an?” fragte er nach einer kurzen Pause.
„Entschuldigung. Störe ich?”
„Wie man’s nimmt.”
„Oh, ich verstehe.” Sofort sah sie eine rassige schwarzhaarige Schönheit vor ihrem geistigen Auge, die mit übereinander geschlagenen langen Beinen auf seinem Sofa saß und ihn verführerisch anlächelte.
„Ich bin gerade nach Hause gekommen.”
„So spät?” Ihre Stimme klang argwöhnisch. Ruth räusperte sich und fuhr betont höflich fort: „Du musst müde sein. Entschuldige, dass ich dich gestört habe.”
„Das macht nichts.”
Sie hörte, wie Eiswürfel in einem Glas klirrten. Offenbar hatte er die Freisprechanlage eingeschaltet und bereitete sich einen Drink. Angestrengt lauschte sie, ob noch ein zweites Mal Eiswürfel klirrten, denn dann hatte er zweifellos Besuch. Als sie nichts hörte, atmete sie
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