Ein Abenteuer zuviel
dachte sie entschlossen, das lasse ich nicht mit mir machen. Sie war normalerweise sehr sanftmütig, doch wenn man ihr zusetzte, konnte sie auch unnachgiebig sein.
„Entschuldigen Sie.” Franco lächelte flüchtig.
Diese unerwartete Reaktion dämpfte ihren Zorn sogleich wieder. „Ja, ist in Ordnung.” Ruth lächelte matt und senkte den Blick. Als ihr bewusst wurde, dass sie diesem Mann besser nicht so schüchtern begegnete, sah sie ihn mutig wieder an.
„Ich schätze, Sie haben das Magazin in seiner alten Form, also vor der Übernahme, nicht gekannt”, erklärte Franco, nachdem er sie einige Sekunden stumm betrachtet hatte.
Ruth schüttelte den Kopf und beobachtete, wie er sich von der Fensterbank abstieß und zum Schreibtisch ging. Doch anstatt sich auf Alisons Sessel zu setzen, hockte er sich auf die Schreibtischkante. Er sah also immer noch zu ihr herunter - wenngleich nicht mehr von ganz so weit oben, allerdings war der Abstand zwischen ihnen auch nicht mehr so groß.
„Es hat sich nicht gut verkauft, weil zu wenig Geld da war, um halbwegs vernünftige Redakteure zu
bezahlen. Die Artikel waren zu oberflächlich, die Themen aber gut gewählt. Das Magazin hat sich mit aktuellen Problemen befasst. Drogen auf dem Schulhof, Korruption in der Kommunalpolitik und dergleichen.”
„Ja”, erwiderte sie leise und fragte sich, was das mit ihr zu tun hatte.
„Ich denke, wir sollten dieses Konzept wieder aufgreifen, es jedoch besser umsetzen als unsere Vorgänger.”
„Was hält Alison von Ihrer Idee?” Sie beugte sich etwas vor, um die Hände auf die Knie zu legen, und blickte zu ihm hoch.
Hätte sie sich heute Morgen nur nicht die Zopffrisur gemacht und sich auch etwas Schickeres als die schlichte langärmelige Bluse und den taubengrauen Rock angezogen. Doch sie hatte nicht damit gerechnet, Franco zu begegnen, sonst hätte sie versucht, etwas eleganter auszusehen. Es war ihm deutlich anzumerken, dass ihm ihr Erscheinungsbild missfiel.
„Sie stimmt absolut mit mir überein”, antwortete er. „Wahrscheinlich informiert sie gerade Ihre Kollegen …
und Freunde”, fügte er leiser hinzu.
Ruth runzelte die Stirn. „Ich hoffe, Sie verübeln mir meine Frage nicht. Aber warum haben Sie mich zur Seite genommen und erklären es mir hier, wenn ich es draußen zusammen mit allen hätte erfahren können?”
„Weil …” Er neigte den Kopf etwas zur Seite und schien beunruhigend lange über die Frage nachzudenken.
„Weil es noch eine Kleinigkeit gibt, über die ich mit Ihnen reden möchte.”
Sie verspannte sich unwillkürlich bei seinem Ton. „Ja?”
„Ich glaube, Sie könnten sehr dabei helfen, das Magazin wieder in die schwarzen Zahlen zu bringen.”
„Ich?” Fast hätte sie laut gelacht, beherrschte sich aber gerade noch rechtzeitig. Wenn er sie für eine begabte Reporterin hielt, irrte er sich gewaltig. Sie hatte in der Schule Aufsätze geschrieben und ihrem Vater gelegentlich bei der Vorbereitung der Sonntagspredigt geholfen. Schlagkräftige Artikel über aktuelle Themen zu verfassen lag allerdings wirklich außerhalb ihrer Fähigkeiten.
„Ja, Sie. Und Sie brauchen nicht so bestürzt zu klingen. Trauen Sie sich denn so wenig zu?”
„Ich kann nicht schreiben, auch nicht wenn mein Leben davon abhängen würde.”
„Haben Sie es je versucht?” Franco beugte sich etwas näher zu ihr und betrachtete sie mit einem Anflug von Neugier, während sie ihn weiter ungläubig ansah.
„Natürlich”, erwiderte sie energisch. „In der Schule. Ich habe das Abitur unter anderem in Englisch gemacht, aber ich möchte es bestimmt nicht auf die Probe stellen, indem ich einen Artikel schreibe. Und ich schätze”, fügte sie lächelnd hinzu, „dass die meisten Leser mir die Mühe auch nicht danken würden.”
„Haben Sie nie überlegt zu studieren?”
Argwöhnisch blickte sie ihn an. Was hatte diese Frage mit 7s- sues zu tun?
Geistesabwesend betrachtete Franco ihre Zöpfe. Wie würde sie wohl reagieren, wenn er sie anfasste und mit ihnen spielte wie der junge Mann eben? Sie würde bestimmt nicht lachen, sondern vermutlich ängstlich zurückweichen. Sofort spürte er, wie diese Erkenntnis in ihm ein feindseliges Gefühl dem Angestellten gegenüber weckte, der eindeutig so vertraut mit ihr war, um sich diese Freiheit herausnehmen zu dürfen.
Hatten die beiden ein Verhältnis?
Er würde es herausfinden. Er würde überhaupt alles, was er konnte, über die junge Frau vor ihm herausfinden, und sei
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