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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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besonders leicht dem Morphium anheimfallen, erklärt sich daraus, daß von ihnen bereits die Existenz an sich als schmerzhaft empfunden wird.
    Viele Narcotica sind zugleich Phantastica. Sertürner hat, indem er 1803 das Morphium isolierte, die schmerzstillende Potenz des Opiums von der eidetischen getrennt. Er hat damit zahllosen Leidenden geholfen, aber zugleich dem Mohnsaft, wie ihn Novalis besingt, die Farben geraubt.
    Wer der Bildwelt zustrebt, will durch das Narcoticum weder dem Schmerz entgehen noch Euphorie genießen; er sucht das Phantasticum. Ihn bewegt nicht die Furcht vor dem Leiden, sondern höhere Neugier, vielleicht auch Vermessenheit. In das Zauber- und Hexenwesen des Mittelalters spielt immer wieder die Welt der Alkaloide ein: die Beschwörung mit Hilfe von Tränken, Salben und Dünsten, von Mandragora, Stechapfel, Bilsenkraut.
    28
    Die Beschwörung wurde in jenen Zeiten zu den Kapitalverbrechen gezählt. Die Erscheinungen waren glaubwürdiger als heut. Für Faust ist das Geisterreich, obwohl bereits weithin zur Geisteswelt geworden, noch »nicht verschlossen«, doch ihn bewegt nur noch die Sorge, ob die Beschwörung gelingt. Religiöse oder moralische Bedenken quälen ihn nicht mehr.
    Ganz ähnlich stellt sich in unserer Zeit dem geistigen und dem musischen Menschen die Frage, was die Droge gewähren kann. Ihm kann letzthin nicht an der motorischen Steigerung der Kräfte, am Glück oder gar an Schmerzlosigkeit gelegen sein. Ihm geht es nicht einmal um Schärfung und Verfeinerung der Einsicht, sondern wie in Faustens Kabinett um »Eintretendes«.
    Dieses Eintreten bedeutet nicht, daß neue Fakten bekannt werden. Nicht die Bereicherung der empirischen Welt ist gemeint. Faust strebt aus dem Studierzimmer hinaus, in dem ein Wagner zeitlebens verharren und sich glücklich fühlen wird. »Zwar weiß ich viel, doch möcht ich alles wissen« – das hat kein Ende, und in diesem Sinne gehört auch die Entdeckung Amerikas zu den Fakten; kein Raumschiff führt aus ihrer Welt hinaus.
    Keine Akzeleration, selbst wenn sie bis zu den Sternen trüge, kann das Urwort »Dir kannst du nicht entfliehen« außer Kraft setzen. Das gilt auch für die Steigerung der Lebenskraft. Die Multiplikation und selbst die Potenzierung verändern die Grundzahl nicht. Vom Eintretenden wird anderes erwartet als eine Steigerung dynamischer oder vitaler Art. Zu allen Zeiten erhoffte man von ihm eine Mehrung, eine Ergänzung, eine Hinzufügung. Das bedeutet nicht Potenzierung, sondern Addition.
    Bei der Beschwörung, sei es mit Hilfe der Askese oder anderer Mittel, war früher kein Zweifel daran, daß Fremdes hinzuträte. Inzwischen hat das Denken eine Macht gewonnen, der gegenüber diese Überzeugung nur noch durch Nachhuten verteidigt wird. Es bleibt aber nur von spiegelbildlicher Bedeutung, ob ein Hinzutretendes von außen oder von innen kommt, ob es also dem Universum oder der eigenen Tiefe entstammt.
    Nicht der Punkt, an dem die Sonde gesetzt wird, entscheidet, sondern jener, den sie erreicht. Dort überzeugt die Erscheinung mit solcher Stärke, daß für die Frage nach ihrer Realität, geschweige denn nach ihrer Herkunft, weder Raum noch Bedürfnis bleibt. Wo Gründe, Autoritäten oder gar Machtmittel nötig sind, um ihre Realität zu sichern, hat die Erscheinung schon die Macht verloren; sie wirkt nun wie ein Schatten oder ein Echo fort. Die Bereitschaft aber muß immer gewahrt bleiben.



AUF DEN MARMORKLIPPEN, 1939
    17
    Es fiel uns auf, daß jene Tage, an denen uns der Spleen erfaßte, auch Nebeltage waren, an denen das Land sein heiteres Gesicht verlor. Die Schwaden brauten dann aus den Wäldern wie aus üblen Küchen und wallten in breiten Bänken auf die Campagna vor. Sie stauten sich an den Marmorklippen und schoben bei Sonnenaufgang träge Ströme ins Tal hinab, das bald bis an die Spitzen der Dome im weißen Dunst verschwunden war. Bei solchem Wetter fühlten wir uns der Augenkraft beraubt und spürten, daß sich das Unheil wie unter einem dichten Mantel ins Land einschlich. Wir taten daher gut, wenn wir den Tag bei Licht und Wein im Haus verbrachten; und dennoch trieb es uns oft, hinauszugehen. Es schien uns nämlich nicht allein, daß draußen die Feuerwürmer ihr Wesen trieben, sondern als ob zugleich das Land sich in der Form veränderte – als ob sich seine Wirklichkeit verminderte.
    Daher beschlossen wir oft auch an Nebeltagen, auf Exkursion zu gehen, und suchten dann vor allem die Weidegründe auf. Auch war es stets

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