Ein abenteuerliches Herz
vor und nach ihm an dieser schwersten der Aufgaben; er suchte vergeblich sein Selbst in seinem Spiegelbild. Das Wort »erkennen« hat doppelte Bedeutung; Narkissos läßt sich auf ein erotisches wie Faust auf ein geistiges Wagnis ein.
Eben diese verzehrende Sehnsucht ist auch ein Kennzeichen der Droge und ihres Genusses; die Begier bleibt immer wieder hinter der Erfüllung zurück. Die Bilder locken wie eine Wüstenspiegelung; der Durst wird brennender. Wir können auch an den Einstieg in eine Grotte denken, die sich in ein Labyrinth von immer engeren und unwegsameren Gängen verzweigt. Dort droht das Schicksal Elis Fröboms, des Helden in Hoffmanns »Bergwerken zu Falun«. Er kommt nicht wieder, ist der Welt verloren, und ähnlich erging es dem Mönch von Heisterbach, der sich im Wald verirrte und erst nach dreihundert Jahren wieder in sein Kloster fand. Dieser Wald ist die Zeit.
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Wir halten die Stoffe, die den narkotischen Rausch erzeugen, für feiner, ätherischer als jene, die den Willen anspannen. Faust wird nach der großen Beschwörung im nächtlichen Studierzimmer zunächst zu den wüsten Zechern in Auerbachs Keller und dann erst in die Hexenküche geführt.
Wir sprechen vom »narkotischen Duft«. Das Wort stammt vom griechischen ναρκόω, ich betäube, ab. Im Süden gibt es Narzissenarten, deren Duft als gefährlich gilt. Euphorie und Schmerzlosigkeit folgen der Einatmung flüchtiger Substanzen wie der des Lachgases oder des Äthers, der um die Jahrhundertwende auch einmal als Genußmittel in Mode gewesen ist und dem Maupassant eine Studie gewidmet hat. In der klassischen Magie wird immer wieder der Rauch erwähnt, der nicht nur betäubt, sondern auch als feines Medium für die der Betäubung folgenden Visionen dient. Wir finden solche Szenen in »Tausend und einer Nacht«, aber auch noch bei Autoren wie Cazotte, Hoffmann, Poe, Kubin und anderen.
Die Vermutung liegt nahe, daß diese der Anschauung zugewandte Seite des Rausches auch die qualitativ bedeutendere ist. Wenn wir uns darüber ein Urteil bilden wollen, müssen wir auf die gemeinsame Wurzel zurückgreifen, aus der so verschiedenartige Formen der Imagination aufsteigen. Das Wagnis, das wir mit der Droge eingehen, besteht darin, daß wir an einer Grundmacht des Daseins rütteln, nämlich an der Zeit. Das freilich auf verschiedene Weise: je nachdem, ob wir uns betäuben oder stimulieren, dehnen oder komprimieren wir die Zeit. Damit hängt wiederum die Begehung des Raumes zusammen: hier das Bestreben, die Bewegung in ihm zu steigern, dort die Starre der magischen Welt.
Wenn wir die Zeit, wie es von jeher geschehen ist, einem Strom vergleichen, so scheint er sich dem Stimulierten zu verengen, schneller zu fließen, in Wirbeln und Kaskaden zu Tal zu sprühen. Dem folgen die Gedanken, die Mimik und Gestik; der so Berauschte denkt und handelt geschwinder und impulsiver als der Nüchterne, auch weniger berechenbar.
Unter dem Einfluß narkotischer Mittel dagegen verlangsamt sich die Zeit. Der Strom fließt ruhiger; die Ufer treten zurück. Mit der beginnenden Betäubung treibt das Bewußtsein wie in einem Boot auf einem See, dessen Grenzen es nicht mehr erblickt. Die Zeit wird uferlos; sie wird zum Meer.
So kommt es zu den endlosen Opiumträumen, die de Quincey beschreibt. Er wähnt, »für Jahrtausende in den Eingeweiden ewiger Pyramiden bestattet zu sein«. In den »Suspiria de Profundis«, einer Essay-Sammlung, die ein Vierteljahrhundert nach den »Confessions« erschienen ist, blickt er auf diese ungeheure Ausweitung der Zeit zurück und sagt, sie zu schildern, würden astronomische Maßstäbe nicht ausreichen. »Ja, lächerlich wäre es, den Zeitraum, den man während eines Traumes durchlebt, nach Generationen zu bestimmen – oder selbst nach Jahrtausenden.«
Das Gefühl der Entfernung vom menschlichen Zeitbewußtsein überhaupt wird auch von anderen bestätigt, so von Cocteau: »Tout ce qu'on fait dans la vie, même l'amour, on le fait dans le train express qui roule vers la mort. Fumer l'opium, c'est quitter le train en marche; c'est s'occuper d'autre chose que de la vie, de la mort.«
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Die Zeit läuft schneller am animalischen, langsamer am vegetativen Pol. Von hier aus fällt auch Licht auf das Verhältnis der Narcotica zum Schmerz. Die meisten Menschen werden mit den Narcoticis dank deren anästhetisierenden Eigenschaften bekannt. Zur Gewöhnung führt das damit verbundene Glücksgefühl, die Euphorie. Daß die Depressiven
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